E-Collecting - Chancen und Herausforderungen der digitalen Unterschriftensammlung

Von Marie Lehnert

Digitalisierung wirkt sich auf nahezu alle Lebensbereiche aus. Tätigkeiten, die vorher nur persönlich und vor Ort möglich waren, sind nun digital durchführbar, manchmal gar mit ein paar Klicks auf dem Smartphone erledigt. Bankgeschäfte, Einkaufen, Unterhaltung: Alles geht online! Von Digitalisierung wenig zu sehen ist bislang jedoch im Bereich der direkten Demokratie. Weder die digitale Unterschriftensammlung für Initiativen (E-Collecting), noch die digitale Stimmabgabe bei Wahlen (E-Voting) sind in Deutschland möglich. Beides gibt es in anderen Ländern schon längst, um die Verfahren der Demokratie an den Möglichkeiten der heutigen Zeit auszurichten.

E-Collecting bezeichnet das elektronische und rechtsgültige Unterschreiben direktdemokratischer Verfahren, wie etwa Bürgerbegehren, Volksinitiativen oder Volksbegehren und hebt sich durch die rechtliche Verankerung der Verfahren von „unverbindlichen“ Online-Petitionen ab. In Abgrenzung dazu bezeichnet E-Voting die Möglichkeit seine Stimme bei Wahlen online abzugeben. Die Stimmabgabe wird somit, neben der Urnenwahl und der Briefwahl, um eine dritte Option ergänzt. Im Folgenden geht es in erster Linie um das E-Collecting.

Warum ist E-Collecting wichtig?

Das Sammeln von Unterschriften ist fester Bestandteil jedes Bürgerbegehrens, nur, wenn die notwendige Anzahl an Unterschriften erreicht wird, muss sich das zuständige Parlament kümmern oder es kommt zum Bürger- oder Volksentscheid. Durch E-Collecting wird die Unterschriftensammlung für Initiativen sowie das Unterschreiben für Bürger:innen erleichtert. E-Collecting trägt zu breiteren Partizipationschancen für Bürger:innen bei und senkt die Hürden für politische Teilhabe. Ein Vorteil des E-Collectings gegenüber der analogen Unterschriftensammlung ist ein Zugewinn an Effizienz. Eine Unterschriftensammlung ist aufwendig und erfordert viel Zeit. Zeit, die Initiativen durch E-Collecting einsparen, eröffnet ihnen neue Möglichkeiten für andere Aktivitäten. Neben einem Zugewinn an Effizienz, wird die Unterschriftensammlung in erster Linie inklusiver. Die Stimmabgabe bei direktdemokratischen Verfahren muss möglichst niedrigschwellig sein. So ersetzt die Online-Stimmabgabe die analoge Stimmabgabe nicht, sondern ergänzt sie sinnvoll. Die politische Auseinandersetzung findet nicht mehr nur auf der Straße statt, sondern es wird auch im Internet politisch diskutiert, gestritten und sich informiert. Deshalb sollte eben dort auch die Möglichkeit der Online-Stimmabgabe bestehen. Mit E-Collecting können mehr Menschen, die bisher systematisch von Unterschriftensammelaktionen ausgeschlossen sind, in den Prozess integriert werden. Die verschiedensten Gründe können zu einem solchen Ausschluss führen. Die eine Person verpasst Unterschriftensammlungen aufgrund ihrer Arbeitszeiten, eine andere, weil sie in einem Pflegeheim lebt und den Ort, an dem gesammelt wird, nicht erreicht. E-Collecting senkt ebenso die Partizipationshürden für diejenigen, die Vorbehalte haben etwas z.B. in der Fußgängerzone zu unterschreiben. Der Modus der Unterschriftensammlung schreckt sie ab, obwohl sie das Anliegen vielleicht unterstützen würden. Dadurch, dass man Menschen erreicht, die man offline nicht erreichen würde, können neue Sichtweisen in den Diskurs einfließen und ihn bereichern.

Welche Herausforderungen gehen mit E-Collecting einher?

Die wesentliche Voraussetzung, die für die Einführung eines E-Collecting Verfahrens geschaffen werden muss, ist eine elektronische Identität (e-ID), die staatlich verifiziert ist. Die elektronische Identität ermöglicht es, die Unterzeichnenden zu identifizieren. In Deutschland gibt es eine solche e-ID bisher nicht – sie ist aber geplant. Die Bundesregierung hat Ende März dieses Jahres einen Gesetzesentwurf (19/28169) zur Einführung eines elektronischen Identitätsnachweises mit einem mobilen Endgerät vorgelegt. Der Bundesrat hat bereits Stellung dazu genommen und begrüßt den Gesetzesentwurf. Sowohl Bundesregierung als auch Bundesrat sehen die Notwendigkeit der Entwicklung mobiler e-ID-Nachweismöglichkeiten. Damit wäre der Grundstein für die technische Umsetzung von E-Collecting in Deutschland gelegt.

Die Herausforderung bei der Umsetzung der digitalen Unterschriftensammlung besteht außerdem darin, ein sicheres System zu entwickeln, welches das Wahl- bzw. Stimmgeheimnis gewährleisten kann und gleichzeitig Datenschutzstandards einhält. Zusätzlich ist man mit der Frage konfrontiert, wie die Verifizierbarkeit einer Unterschrift online sichergestellt werden kann. Grundsätzlich müssen die gleichen Standards an die digitale Form der Unterschriftensammlung angelegt werden, die auch bei der persönlichen Unterschriftensammlung gelten. Diese müssen erfüllt werden, jedoch fällt auf, dass höhere Anforderungen an die digitale Form der Unterschriftensammlung gestellt werden, als dies bei der analogen Form der Fall ist.

Schließlich braucht es einen flächendeckenden Internetausbau für E-Collecting. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass ländliche Regionen nicht strukturell ausgeschlossen werden.

Was ist der Status quo in Deutschland?

Während es wie eingangs erwähnt weder E-Collecting noch E-Voting auf Bundesebene gibt, lassen sich spannende Entwicklungen in einigen Bundesländern beobachten. In Bremen kann man beim Bürgerantrag online Unterschriften sammeln. Dafür hat die Bremische Bürgerschaft eine Plattform zur elektronischen Mitzeichnung von Bürgeranträgen geschaffen. Um dort einen Bürgerantrag elektronisch mitzuzeichnen, braucht es drei Dinge: Einen Personalausweis mit Online-Ausweisfunktion, einen Computer mit Personalausweis-Lesegerät und die AusweisApp2 der Bundesregierung. Obwohl das Verfahren nicht einfach erscheint, ist es doch ein erster Schritt.

In Schleswig-Holstein hatte der Landtag im Jahr 2016 die gesetzliche Möglichkeit für Online-Volksinitiativen geschaffen. Zwei Jahre später hatte das Innenministerium angekündigt, dass eine Online-Plattform namens „e-Parti“ entwickelt werden soll, die es Initiator:innen von Volksinitiativen ermöglicht, Unterschriften digital zu sammeln. Die Umsetzung der angekündigten Plattform hat sich immer wieder verzögert. Deshalb hat die Gruppe „Volksinitiative zur Weiterentwicklung der Energiewende“ nun die Landesregierung Schleswig-Holsteins verklagt. Nach gründlicher Prüfung der Software und der Verfahrensschritte soll die digitale Unterschriftensammlung dieses Jahr auf dem Portal starten können.

Weitere vielversprechende Entwicklungen gibt es in Brandenburg. Zwar besteht dort noch nicht die Möglichkeit des E-Collectings, jedoch enthält der Koalitionsvertrag der neuen Regierung entsprechende Absichtserklärungen. Dort erklärt die Landesregierung:

„Die in der Landesverfassung verankerten Möglichkeiten zur Durchführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden werden auch in Brandenburg verstärkt genutzt. Sie tragen zur gesellschaftlichen Debatte im öffentlichen Raum bei. Um dies weiter zu fördern, strebt die Koalition die Möglichkeit der Online-Eintragung für Volksbegehren an.“

Wie machen es andere Länder?

Erst relativ wenige Länder haben Erfahrungen mit E-Collecting gemacht, bspw. die Schweiz und Estland. Außerdem gibt es auf EU-Ebene bereits seit längerem Möglichkeiten der digitalen Unterschriftensammlung. So ist bei der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) die digitale Unterschriftensammlung seit 2011 realisiert, was zeigt, wie E-Collecting in der Umsetzung funktionieren kann. Neben der Unterschriftensammlung auf Papier, haben Organisator:innen zwei Möglichkeiten, um online Unterschriften zu sammeln. Entweder nutzen sie das Sammelsystem der Europäischen Kommission oder eigene Sammelsysteme. Letztere müssen von der zuständigen nationalen Behörde zertifiziert sein und sind nur noch bis Ende 2022 einsetzbar.

In der Schweiz ist die digitale Unterschriftensammlung zwar bundesweit nicht möglich, jedoch gibt es in einzelnen Kantonen Entwicklungen, die deutlich weiter vorangeschritten sind, als es in Deutschland der Fall ist. Das Parlament in Schaffhausen hat als erster Kanton im Januar 2021 einen Vorstoß zur Einführung von E-Collecting mehrheitlich angenommen. Bereits im Jahr 2018 hatte Schaffhausen eine e-ID eingeführt und erfüllt somit alle Voraussetzungen zur Umsetzung von E-Collecting. Jetzt muss nur noch eine Rechtsgrundlage durch den Regierungsrat erarbeitet werden. In den Kantonen Zürich, Basel-Stadt und St. Gallen steht E-Collecting ebenfalls wieder auf der Agenda. Im Bereich des E-Votings gibt es in der Schweiz unterdessen mehr Bewegung. Nachdem das E-Voting 2019 ausgesetzt wurde, um Rechtsgrundlagen anzupassen und die E-Voting Systeme unabhängig überprüfen zu lassen, hat der Bundesrat im April 2021 entschieden, den Versuchsbetrieb der elektronischen Stimmabgabe wieder aufzunehmen. Die Anzahl der Stimmberechtigten soll bei dem Testbetrieb zunächst eingeschränkt sein. Auslandsschweizer:innen und Menschen mit Behinderung sollen jedoch bevorzugt werden.

In Lettland und Finnland hat sich E-Collecting bereits etabliert. Ähnlich wie bei der Europäischen Bürgerinitiative können staatliche Portale zur Unterschriftensammlung genutzt werden oder externe staatlich zertifizierte Alternativplattformen. Unterstützer:innen identifizieren sich mithilfe einer Online-Bank ID.

Auch im Bereich E-Voting findet man im Ausland gute Beispiele dafür, wie ein solcher Prozess funktionieren kann. Insbesondere Estland setzt die Standards dafür, wie eine e-Demokratie aussehen kann. Alle Bürger:innen besitzen eine e-ID und können damit neben digitalen Verwaltungsgängen, auch ihre Stimme bei Wahlen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene abgeben. Das E-Voting Angebot wird von der Bevölkerung positiv aufgenommen. 2019 lag der E-Voting Anteil bei den Parlamentswahlen bei 43,8 %.

Unterschriften sammeln unter Pandemie Bestimmungen?

Im vergangenen Jahr wurde durch die Covid-19 Pandemie deutlich, welches Potential E-Collecting hat. Durch Kontaktbeschränkungen wurde die Unterschriftensammlung für Initiativen deutlich erschwert und stellte diese damit vor große Herausforderungen. E-Collecting hätte die enormen Auswirkungen für Initiativen, während der Covid-19 Pandemie entschärfen können. E-Collecting senkt nicht nur die Hürden für Bürgerbeteiligung, sondern stärkt diese auch in Krisenzeiten. Michigan in den USA zeigt, wie das in der Anwendung aussehen kann. Der Gouverneur von Michigan hatte im April 2020 veranlasst, die digitale Unterschriftensammlung während der Pandemie zu ermöglichen. So konnte beispielsweise die LGBTQ+ Initiative „Fair and Equal Michigan“ auch unter Pandemiebedingungen Unterstützer:innen finden. Leider ist die digitale Unterschriftensammlung mittlerweile nicht mehr möglich, da Michigan wieder zu den Standards vor der Covid-19 Pandemie zurückgekehrt ist. Trotzdem konnten wertvolle Erfahrungen mit E-Collecting gesammelt werden.

Auf der Bundesebene gibt es noch keine verbindlichen direktdemokratischen Beteiligungsmöglichkeiten. Diese braucht es, bevor E-Collecting in den Bereich des Möglichen auf Bundesebene rücken kann. In den ersten Bundesländern sind die Weichen für E-Collecting gestellt. Jetzt geht es darum, dass dort sichere Systeme entwickelt werden, Positivbeispiele geschaffen werden und die anderen Bundesländer nachziehen, damit unsere Demokratie langfristig ein Stück besser, inklusiver und moderner wird.