Radentscheide in Zahlen

Von Marie Lehnert

In immer mehr Städten in Deutschland schließen sich Menschen in sogenannten Radentscheiden zusammen, um den Radverkehr mithilfe der direkten Demokratie voranzubringen. Vorreiter ist der Berliner „Volksentscheid Fahrrad“ aus dem Jahr 2016, durch den 2018 ein erstes landesweites Radgesetz beschlossen wurde. Seither kamen viele weitere Radentscheide nach Berliner Vorbild hinzu. Ziel der Initiativen ist es, für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und eine bessere Infrastruktur für Fahrradfahrer:innen zu sorgen. Bundesweit gibt es inzwischen über 50 Radentscheide. Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme. Wir haben uns die Zahlen hinter den Radentscheiden einmal genauer angesehen.

Für die mittlerweile 52 Radentscheide, verteilt über das gesamte Bundesgebiet, wurden bisher rund 1 Million Unterschriften gesammelt. Eine beeindruckende Zahl und noch beeindruckender, bedenkt man, dass die Unterschrift für ein Bürgerbegehren nach wie vor handschriftlich erfolgen muss. 1 Million Menschen – das sind fast so viele Menschen, wie es Parteimitglieder in Deutschland gibt.

Die Anzahl der Radentscheide ist sehr unterschiedlich über das Bundesgebiet verteilt. NRW und Bayern stechen im bundesweiten Vergleich eindeutig heraus. Mit jeweils zwölf Verfahren, wurden allein in diesen beiden Bundesländern die Hälfte aller Radentscheide insgesamt durchgeführt. In Hessen gab es bislang sieben und in Baden-Württemberg sechs Radentscheide. In der Hälfte der übrigen Bundesländer wurde bisher nur jeweils ein einziger Radentscheid durchgeführt oder initiiert. Schlusslichter in der Statistik sind das Saarland und Schleswig-Holstein, dort gab es bislang noch kein einziges Fahrrad-Bürgerbegehren.

Wie bereits erwähnt, ist NRW mit insgesamt zwölf Initiativen zum Thema Radverkehr neben Bayern das Bundesland mit den meisten Radentscheiden. Sie setzen sich aus elf städtischen Radentscheiden und einer landesweiten Volksinitiative zusammen. In folgenden Städten NRWs gibt es bereits Radentscheide: Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Detmold, Essen, Kaarst, Marl, Mönchengladbach, Paderborn und Rheinbach. Anders als im Vergleich der Bundesländer, ist die Anzahl der Radentscheide in NRW relativ gleichmäßig auf die Regionen verteilt.  Bemerkenswert in NRW ist außerdem die Aufteilung der Radentscheide nach der Größe der Städte, in denen sie durchgeführt wurden. Sieben der elf Städte, in denen es bisher Radentscheide gab, sind Großstädte, also Städte mit mehr als 100.000 Einwohner:innen. Das sind knapp 64%, somit wurden rund zwei Drittel aller Radentscheide in NRW in Großstädten initiiert. Nur ein Drittel aller Radentscheide wurde hingegen in Kleinstädten initiiert. Zu den Großstädten zählen Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Essen, Mönchengladbach und Paderborn. Zu den Kleinstädten zählen Detmold, Kaarst, Marl und Rheinbach.

2020 war das Jahr der Radentscheide. So nahm die Zahl der Verfahren zuvor langsam aber stetig zu, um dann im Jahr 2020 rasant anzusteigen. Auch in NRW kann dieser rasante Anstieg beobachtet werden. Schaut man sich die Radentscheide in NRW jedoch genauer an, fällt auf, dass, mit Ausnahme der Volksinitiative Aufbruch Fahrrad und dem Radentscheid Aachen, alle Radentscheide im Jahr 2020 initiiert worden sind. Man kann regelrecht von einer „Welle“ an Radentscheiden sprechen. In keinem anderen Bundesland kann ein Anstieg in diesem Ausmaß beobachtet werden. Eine mögliche Erklärung liegt in der Anzahl der Positivbeispiele in NRW, die dazu beigetragen haben können, dass auch andere Städte zur Einleitung eines Radentscheides bewegt wurden. Besonders der erfolgreiche Radentscheid Aachen aus dem Jahr 2019 kann als Vorbild gedient haben. Dieser sammelte nicht nur weit mehr Unterschriften, als eigentlich nötig gewesen wären, sondern wurde auch vom Stadtrat für zulässig erklärt und anschließend mehrheitlich angenommen. Drei weitere Radentscheide wurden im Jahr 2020 ebenfalls für zulässig erklärt, nämlich in Bonn, Essen und Marl. In allen drei Städten wurden die Radentscheide in positiven Ratsbeschlüssen angenommen und Umsetzungsstrategien beschlossen. In Marl wurden sogar 8 Millionen Euro für den Umbau der Radinfrastruktur im Haushalt für 2021 eingeplant.

Die Anzahl der abgeschlossenen und laufenden Radentscheide hält sich sowohl bundesweit als auch in NRW die Waage. 23 der 50 Radentscheide sind bereits beendet, 27 hingegen laufen aktuell noch. In NRW gibt es zurzeit insgesamt fünf Radentscheide, die abgeschlossen sind. Das entspricht fast der Hälfte aller nordrhein-westfälischen Verfahren. Im Jahr 2020 sind weitere sechs Radentscheide hinzugekommen, die derzeit noch laufen und sich in verschiedenen Stadien ihrer Umsetzung befinden. Der Großteil von ihnen ist so neu, dass das zugehörige Bürgerbegehren lediglich angekündigt wurde und erste Ziele formuliert wurden. Bei einigen hat auch schon die Unterschriftensammlung begonnen.

Radentscheide in Deutschland sind erfolgreich. Nicht nur in der Umsetzung ihrer Forderungen, sondern auch in der Unterstützung, die sie aus der Bevölkerung erfahren. So konnten bislang alle Radentscheide mehr Unterschriften sammeln, als zur Erreichung der Unterschriftenhürde nötig gewesen wären. Auch zukünftig kann sicherlich noch mit vielen weiteren Radentscheiden in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen gerechnet werden.