Zwischenbilanz: Automatische Zusendung von Abstimmungsunterlagen bei Bürgerentscheiden 2020-2023

Ob ein Bürgerentscheid als Brief- oder Urnenabstimmung durchgeführt wird, ist jeder Kommune selbst überlassen und wird in der jeweiligen Satzung zur Durchführung von Bürgerentscheiden festgelegt. In den letzten drei Jahren haben immer mehr Kommunen ihre Bürgerentscheidssatzungen aktualisiert und in diesem Zuge die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen bei Bürgerentscheiden eingeführt. Im Gegensatz zur herkömmlichen Regelung müssen die Unterlagen dabei nicht mehr beantragt werden, sondern werden automatisch zusammen mit der Abstimmungsbenachrichtigung an alle Abstimmungsberechtigten verschickt. Die folgende Auswertung der Bürgerentscheide soll aufzeigen, welche Kommunen in NRW im Zeitraum 2020-2023 auf die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen gesetzt haben und wie die Abstimmungsbeteiligung bei den Bürgerentscheiden ausgefallen ist.

Bürgerentscheide in NRW 2020-2023
Zwischen Januar 2020 und Dezember 2023 gab es in NRW insgesamt 30[1] Bürgerentscheide. Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung lag bei 36,1 Prozent. Von den 30 Bürgerentscheiden endeten elf im Sinne des Begehrens, ebenfalls elf nicht im Sinne des Begehrens und acht Entscheide scheiterten „unecht", waren also unzulässig, weil sie das Zustimmungsquorum nicht erreichten.

Bürgerentscheide mit automatischer Zusendung der Abstimmungsunterlagen
Bei zehn dieser 30 Bürgerentscheide wurden die Abstimmungsunterlagen für die Briefabstimmung automatisch mit der Benachrichtigung verschickt. Bis auf den Entscheid in Roetgen wurden die Abstimmungen als reine Briefabstimmung durchgeführt, in Roetgen gab es zusätzlich die Möglichkeit der Urnenabstimmung.

 

Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung bei den zehn Bürgerentscheiden lag bei 45,2 Prozent und damit etwa zehn Prozentpunkte über der durchschnittlichen Beteiligung aller Bürgerentscheide der Jahre 2020-2023. Besonders stechen hier die Abstimmungen in Roetgen, Nümbrecht und im Kreis Düren hervor. In Roetgen (2022) lag die Abstimmungsbeteiligung beim Bürgerentscheid über die Errichtung von Windkraftanlagen bei 64,5 Prozent. Bei dem Bürgerentscheid, der als einziger der zehn Entscheide parallel zu einer Wahl (hier: Landtagswahl) stattfand, wurden die Abstimmungsunterlagen automatisch verschickt, zusätzlich konnten die Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme im Wahllokal abgeben. Das ist bislang einmalig für NRW. In Nümbrecht (2023) nahmen 56,3 Prozent der Abstimmungsberechtigten am Bürgerentscheid zur Errichtung von Windkraftanlagen auf Gemeindegebiet teil. Im Kreis Düren (2022) stimmten 55,9 Prozent der Abstimmungsberechtigten über eine Umbenennung des Landkreises ab.

Niedriger fiel die Abstimmungsbeteiligung in Herten, Siegen und Wuppertal aus. Auch wenn die Beteiligung in den drei Städten im NRW-Vergleich leicht überdurchschnittlich ist, fallen sie im Vergleich zu den anderen Kommunen zurück, die auf die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen setzen. In Herten (2023) lag die Abstimmungsbeteiligung mit 34 Prozent am niedrigsten. Dort wurde über ein Feuerwehrgerätehaus abgestimmt. In Wuppertal (2022) beteiligten sich 35,5 Prozent der Abstimmungsberechtigten am Bürgerentscheid über eine Bewerbung zur Bundesgartenschau im Jahr 2031. Der Siegener Bürgerentscheid (2023) für den Erhalt der Haupt- und Realschulen wies mit 35,4 Prozent eine unwesentlich höhere Beteiligung auf.

Darüber hinaus beteiligten sich beim Bonner Bürgerentscheid (2020) über einen Teilverkauf einer Fläche des Melbbades 38,9 Prozent der Abstimmungsberechtigten. Ähnlich hoch war die Beteiligung beim Schulentscheid in Welver (2023), hier nutzten 39,8 Prozent der Berechtigten ihr Stimmrecht. In Engelskirchen (2023) stimmten 45,6 Prozent der Bürgerinnen und Bürger über die neue Bücherfabrik ab. In Verl (2023) beteiligten sich zuletzt 46,8 Prozent der Abstimmungsberechtigten am Bürgerentscheid zur Landesgartenschau.

Bürgerentscheide ohne automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen
Im Vergleich dazu folgt nun eine Betrachtung jener 20 Bürgerentscheide, bei welchen die Abstimmungsunterlagen nicht automatisch verschickt wurden.

 

Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung lag hier bei 31,6 Prozent. Auffällig ist jedoch, dass die Beteiligung bei den Bürgerentscheiden zwischen 75,4 Prozent am oberen Ende und 7,2 Prozent am unteren Ende massiv schwankte. Ein Erklärungsfaktor hierfür ist der Abstimmungstag: Vier dieser 20 Bürgerentscheide (Hövelhof, Halle (Westfalen), Dülmen und Unna) fanden parallel zu einer Wahl statt. In diesen Fällen ist die Abstimmungsbeteiligung in der Regel sehr hoch.

Auf der einen Seite sticht dementsprechend besonders der Bürgerentscheid über den Neubau des Hallenbads in Hövelhof (2021) hervor. Diese fand parallel zur Bundestagwahl am 27. September 2021 statt und erreichte eine Rekordhöhe: Die Abstimmungsbeteiligung von 75,4 Prozent ist die bisher höchste bei einem Bürgerentscheid in NRW. Ebenfalls deutlich über den Durchschnitt lagen die Bürgerentscheide in Dülmen (2020) für die Sperrung des "Königsplatzes" für Personenkraftwagen mit 52,9 Prozent und Halle (Westf.) (2021) gegen den schnellen Umbau der Alleestraße mit 56,5 Prozent. Auch in Unna (2022) und Bad Münstereifel (2021) zeigt sich eine deutlich überdurchschnittliche Beteiligung: Im Entscheid um den Erhalt der Eissporthalle in Unna lag die Beteiligung bei 42,5 Prozent und in Bad Münstereifel zum Bau von Windrädern bei 44,6 Prozent. Leicht überdurchschnittliche Beteiligung zeigte sich bei den Bürgerentscheiden in Werne (2021) gegen die Ausweisung eines Gewerbegebiets mit 36,3 Prozent, beim Bürgerentscheid gegen die Flüchtlingsunterkunft in Bocholt (2023) mit 38,8 Prozent, beim Niederkrüchtener Entscheid (2022) für die Öffnung und Sanierung des Freibads mit 39,1 Prozent, in Ahlen zur Sanierung des Rathauses mit 39,8 Prozent sowie in Schermbeck (2020) zum Neubau eines Bildungszentrums mit 32 Prozent.

Etwas niedriger war die Beteiligung in Haan (2022) bei der Abstimmung über die Errichtung eines Fahrradstreifens auf der B228 mit 30,2 Prozent, in Kaarst (2022) stimmten lediglich 20,8 Prozent über den Radentscheid ab.

Am deutlichsten spürbar werden die Auswirkungen einer niedrigen Abstimmungsbeteiligung bei den Bürgerentscheiden, die „unecht“, also am Zustimmungsquorum[2] scheitern. In NRW scheiterten bislang ca. 40 Prozent aller Bürgerentscheide, die seit 1994 stattgefunden haben, an dieser Hürde. Im betrachteten Zeitraum waren das acht Abstimmungen (also 27 Prozent). Die niedrigste Abstimmungsbeteiligung wurde in Viersen (2023) gemessen. Mit 7,2 Prozent (Primus-Schulversuch) und 8,2 Prozent (Ausbau einer Grundschule) wurde bei beiden Abstimmungen das Zustimmungsquorum von 15 Prozent deutlich verfehlt. Eine vergleichbar niedrige Beteiligung wies der Bürgerentscheid in Hagen (2022) auf. Mit 12,2 Prozent ist der Entscheid über den Abriss des Lennebads trotz einer Mehrheit von 70,7 Prozent für die Sanierung des Bades unecht gescheitert. Ebenfalls unecht gescheitert sind die zwei Abstimmungen in Lünen (2022) zum Bau von Gewerbegebieten. Dort lag die Abstimmungsbeteiligung bei 15,8 bzw. 15,7 Prozent. Mit hoher Wahrscheinlichkeit mitverantwortlich für diese niedrige Beteiligung ist der Umstand, dass die Anzahl der Wahllokale im Gegensatz zur Landtagswahl erheblich verringert wurde. Während es bei der Landtagswahl 66 Wahllokale gab, wurden für den Bürgerentscheid nur 16 geöffnet. Auch die Abstimmung in Erkrath (2023) und in Bad Salzuflen (2023) verfehlten das Zustimmungsquorum deutlich. Die Beteiligung in Erkrath  lag bei 21 Prozent, in Bad Salzuflen stimmten 17,4 Prozent der Berechtigten ab. In Issum (2023) ist der Bürgerentscheid zur Beibehaltung des Spezialverkehrs für Schülerinnen und Schüler bei einer Beteiligung von 25 Prozent ebenfalls unecht gescheitert.

Abschließende Betrachtung
Wie aus den Daten hervorgeht, lag die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung bei den Bürgerentscheiden, bei denen die Abstimmungsunterlagen automatisch verschickt wurden, im Zeitraum 2020-2023 bei 45,2 Prozent. Damit lag die Beteiligung deutlich über der durchschnittlichen Beteiligung von 31,6 Prozent bei den Bürgerentscheiden, bei denen die Abstimmungsunterlagen beantragt werden mussten.

Erklärungsfaktoren für eine höhere Abstimmungsbeteiligung sind neben der automatischen Zusendung der Abstimmungsunterlagen:

  • der Abstimmungstag: Eine Abstimmung parallel zu einer Wahl erhöht die Beteiligung.
  • die Gemeindegröße: Je größer die Gemeinde/Stadt, desto geringer ist die Beteiligung.
  • Der Verfahrenstyp: Wenn ein Bürgerentscheid „von oben“ vom Gemeinderat beschlossen wird, ist die Beteiligung höher als wenn ein Bürgerentscheid „von unten“ per Bürgerbegehren initiiert wird.

Alle drei Erklärungsfaktoren wurden im Rahmen der Betrachtungen analysiert und in allen Bereichen wurden – zum Teil deutlich – höhere Beteiligungen beobachtet, wenn die Abstimmungsunterlagen automatisch verschickt wurden. Lediglich bei den Ratsreferenden war die Beteiligung nahezu gleich – bei sehr geringer Fallzahl (4).

Ein Beispiel: 25 Bürgerentscheide fanden außerhalb von Wahlen statt. Die neun Entscheide mit automatischer Zusendung von Abstimmungsunterlagen erreichten eine durchschnittliche Beteiligung von 43,1 Prozent. Die 16 Entscheide ohne eine automatische Zusendung erreichten eine Beteiligung von durchschnittlich 25,3 Prozent.

Die Daten belegen somit unsere These, dass die automatische Zusendung von Abstimmungsunterlagen die Beteiligung bei Bürgerentscheiden erhöht.
Neben einer erhöhten Beteiligung zeigt sich außerdem, dass keiner der Bürgerentscheide, bei denen die Abstimmungsunterlagen automatisch verschickt wurden, am Zustimmungsquorum gescheitert ist. Dafür scheiterten mit 40 Prozent fast die Hälfte der Bürgerentscheide, die als Urnen- oder Briefabstimmung nach Antrag abgehalten wurden, „unecht“.

Mehr Demokratie spricht sich für die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen an alle Abstimmungsberechtigten aus. Diese ist eine Möglichkeit, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Bürgerentscheid zu vereinfachen und zu erhöhen, sodass möglichst viele ihr Stimmrecht wahrnehmen. Insbesondere im Hinblick auf das Zustimmungsquorum ist die Beteiligung von Bedeutung.


[1] Der Bürgerentscheid in Nümbrecht wurde nachträglich als unverbindliche Bürgerbefragung gewertet, da die Kommunalaufsicht des Oberbergischen Kreises den Ratsbürgerentscheid als unzulässig bemängelt hat. In der vorliegenden Aufstellung wird es als „Bürgerentscheid im Sinne des Begehrens“ gewertet.

[2] Das Zustimmungsquorum besagt, dass ein Bürgerentscheid nur dann gültig ist, wenn zusätzlich zur einfachen Mehrheit auch ein bestimmter Anteil der Abstimmungsberechtigten für ein Begehren stimmt. Das Zustimmungsquorum richtet sich nach der Größe der Kommune und liegt zwischen zehn und 20 Prozent.