Hinter den Kulissen von direkter Demokratie

Wie es sich für eine klassische Politikwissenschaftsstudentin gehört, bin ich der Frage nach meinem Berufsweg immer mit dem vagen Verweis auf  „irgendeine NGO oder so“ ausgewichen. Für mein Pflichtpraktikum wählte ich dann den nordrheinwestfälischen Landesverband von Mehr Demokratie aus, um diese Antwort mit Praxiserfahrung ausschmücken zu können. Von direkter Demokratie hatte ich schon mal gehört und ein paar Wochen in Köln (und dann noch während Karneval!) klangen für mich sehr verlockend.

Mein Praktikumsalltag war geprägt von online und offline Besprechungen sowie viel selbstständigen Arbeiten. Jede Besprechung bei Mehr Demokratie beginnt mit einem kurzem Check-In, bei dem alle Teilnehmer:innen kurz erzählen, wie es ihnen geht und was sie im Moment beschäftigt. Dieser Start ermöglicht eine rücksichtsvolle Zusammenarbeit, bei der mehr auf die einzelnen Bedürfnisse und Ressourcen eingegangen werden kann. Trotz Home-Office und Zoom-Besprechungen konnte ich so auch viele Mitarbeitende kennenlernen, die nicht im Kölner Büro arbeiten. Außerdem erhielt ich schnell einen groben Überblick über die vielen Themen, mit denen sich der Verein beschäftigt.

Inhaltlich lag der Fokus während meines Praktikums auf der Öffentlichkeitsarbeit des nordrhein-westfälischen Landesverband sowie des Bundesverbandes. Den Landesverband habe ich bei der Veröffentlichung und Weiterentwicklung verschiedene bestehende Formate für Social Media unterstützt. Dazu zählen zum Beispiel Informationspostings über die direkte Demokratie im Bundesland, „Good News“ mit den Auswirkungen erfolgreicher Bürgerbegehren und -entscheide sowie ein „direktdemokratischer Wochenrückblick“ mit den wichtigsten Geschehnissen der Woche. Im Bundesverband habe ich Kampagnen zum globalen Klimastreik und zum Frauentag angestoßen und bei deren Umsetzung mitgewirkt. Hier habe ich die schnelle und kommunikative Arbeitsweise vom Verein hautnah miterlebt. Einen Tag vor dem globalen Klimastreik schlug ich ein Infoposting zum Thema Demokratie und Klima vor und  brachte damit einen Stein ins Rollen. Dass die Vorschläge einer Praktikantin so spontan umgesetzt werden, erlebt man sicherlich nicht überall!

Während meiner Zeit bei Mehr Demokratie fanden außerdem Kampagnen zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin, zur Reform der kommunalrechtliche Regelungen für Bürgerbegehren in Schleswig-Holstein, zur Wahlrechtsreform bei Bundestagswahlen sowie zum Klimavolksentscheid in Berlin statt. Die Abgeordnetenhauswahl in Berlin hat der Verein zum Anlass genommen, um eine große Kampagne für die Einführung einer Ersatzstimme bei allen Wahlen in Deutschland zu starten. In Schleswig-Holstein hat die Landesregierung Einschränkungen von Bürgerbegehren verabschiedet, die von Mehr Demokratie kritisiert worden sind. Nun hat der Verein selbst eine Volksinitiative gegen diese Beschneidung gestartet. Die Bundesregierung hat im März 2023 außerdem eine umfangreiche Wahlrechtsreform verabschiedet. Mehr Demokratie hatte bereits vorher einen Aufruf mit einem Wahlrechtsvorschlag an die Bundestagspräsidentin übergeben. Dennoch wurden die kritisierten Aspekte der Wahlrechtsreform wie der Wegfall der Grundmandatsklausel von der Bundesregierung mitaufgenommen. Der Verein hat dies öffentlich und medienwirksam verurteilt. Der Klimavolksentscheid in Berlin war ebenfalls ein wichtiges Thema für Mehr Demokratie, das mit einer großen Online-Diskussion und verschiedenen Postings begleitet und verarbeitet wurde.

Neben der Unterstützung dieser Tätigkeiten im Bereich der Öffentlichkeit habe ich noch Aufgaben in anderen Bereichen übernommen. Basierend auf dem Informationsfreiheitsgesetz habe ich mehrere Anfragen an nordrhein-westfälische Kommunalverwaltung sowie den Landtag gestellt, um die Kosten und den Arbeitsaufwand , der durch Volksinitiativen für die zuständigen Ämter entsteht, zu erfragen. Außerdem habe ich den Bereich „Demokratie und Klima“ bei der Kodierung von Bürgerbegehren unterstützt. Mehr Demokratie arbeitet momentan an einer Studie über die Auswirkungen der direkten Demokratie auf den Klimaschutz, um zu überprüfen, ob direkt-demokratische Instrumente wie das Bürgerbegehren sich tatsächlich positiv auf den Klimaschutz auswirken.

Ein weiteres Projekt von mir waren zwei Interviews mit Bürgerinitiativen in Nordrhein-Westfalen über ihre Inhalte, Aufgaben, Kritik und Ziele.

Des Weiteren habe ich bei der Planung zahlreiche Veranstaltungen, die der Landes- und Bundesverband in den nächsten Monaten geplant  hat, mitgewirkt. Hierzu zählen ein Demokratie-Festival in Düsseldorf für Schüler:innen, ein Projekt zur Erhöhung der Wahlbeteiligung zur Europa-Wahl an nordrhein-westfälischen Schulen sowie ein Alumni-Treffen für alle ehemaligen Praktikant:innen von Mehr Demokratie. Das Alumni-Treffen fand vom 21. bis zum 22. April in Berlin statt. Neben Gruppenarbeiten zur Zukunft des Alumni-Netzwerks haben wir auch politische Inputs organisiert. Mit drei jungen Mitgliedern des Bundestages haben wir in einer Podiumsdiskussion über mögliche Demokratiereformen auf Bundesebene gesprochen, die aktuelle Schwächen des deutschen Parlamentarismus adressieren. Die anwesenden Mitglieder des Bundestages berichteten, dass Machtpolitik und Lobbyismus viel Zeit in ihrem Arbeitsalltag einnehmen und das teilweise dadurch Inhaltliches hinten über fällt. Ein weiteres Highlight meines Praktikums war ein Besuch im Düsseldorfer Landtag, wo ich an einer Sitzung des Hauptausschusses teilnehmen durfte, in dem zahlreiche direktdemokratische Anträge der Landtagsfraktionen diskutiert worden sind.

Während meines gesamten Praktikums habe ich zudem zahlreiche Recherchen zu direktdemokratischen Themen wie der Abschaffung der Stichwahl bei Bürgermeister:innenwahlen, dem Finanztabu bei Bürger- und Volksbegehren sowie zu kommunalen Bürgerräten in Nordrhein-Westfalen durchgeführt.

Thematisch konnte ich sehr gut Inhalte aus meinem Studium an das Praktikum bei Mehr Demokratie anknüpfen. Meine Kenntnisse in der Demokratie- und insbesondere der Beteiligungstheorie halfen mir, die Themen und Forderungen der Organisation  zu durchdringen. Die Arbeit bei Mehr Demokratie ist außerdem sehr wissenschaftsnah, da Kampagnen und Projekte immer auch auf wissenschaftlichen Studien basieren.

Die 9 Wochen Praktikum sind durch diese vielseitigen und interessanten Projekte wie im Flug vergangen. Ich erhielt neben vielem neuen Wissen über direktdemokratische Instrumente auch gute Einblicke in die Arbeit einer bundesweit agierenden NGO. Mein Berufswunsch konnte ich dadurch weiter präzisieren und meinen politischen Horizont erweitern. Direkte Demokratie ist nicht natürlich gegeben, sondern etwas für das man sich täglich einsetzen und was man erstreiten muss.

Neugierig geworden? Alle Infos zu Praktika bei Mehr Demokratie und wie du dich bewerben kannst findest du hier.