Faire Abstimmungsregeln

Die Ausgestaltung eines Bürgerentscheides ist den Kommunen in NRW überwiegend selbst überlassen und wird in der Satzung zur Durchführung von Bürgerentscheiden festgelegt. In der Regel finden diese Abstimmungen entweder als Urnenabstimmung oder als reine Briefabstimmung statt, wobei die Abstimmungsunterlagen erst beantragt werden müssen, wie das auch bei Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen üblich ist. Anders als bei Wahlen können Kommunen in ihren Satzungen jedoch auch festlegen, dass die Abstimmungsunterlagen automatisch zugesendet werden. Mehr Demokratie e.V. empfiehlt dieses einstufige Verfahren, welches im Idealfall mit einer Urnenabstimmung kombiniert wird, da es vier wesentliche Vorteile gegenüber der Briefabstimmung auf Antrag hat.

 

Thesenpapier: Die Vorteile der automatischen Zusendung von Abstimmungsunterlagen bei Bürgerentscheiden in NRW

Die Ausgestaltung eines Bürgerentscheides ist den Kommunen in NRW überwiegend selbst überlassen und wird in der Satzung zur Durchführung von Bürgerentscheiden festgelegt. In der Regel finden diese Abstimmungen entweder als Urnenabstimmung oder als reine Briefabstimmung statt, wobei die Abstimmungsunterlagen erst beantragt werden müssen, wie das auch bei Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen üblich ist. Anders als bei Wahlen können Kommunen in ihren Satzungen jedoch auch festlegen, dass die Abstimmungsunterlagen automatisch zugesendet werden. Mehr Demokratie e.V. empfiehlt dieses einstufige Verfahren, welches im Idealfall mit einer Urnenabstimmung kombiniert wird, da es vier wesentliche Vorteile gegenüber der Briefabstimmung auf Antrag hat.

1. Die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen vereinfacht die Beteiligung für Bürgerinnen und Bürger bei Bürgerentscheiden

Indem die Unterlagen nicht erst beantragt werden müssen, fällt ein Verfahrensschritt, also eine zusätzliche Hürde für die Abstimmungsberechtigten, weg. Dass zwischenzeitlich in vielen Kommunen die Zusendung der Abstimmungsunterlagen online beantragt werden kann, stellt übrigens einen Schritt in die richtige Richtung, aber weiterhin eine unnötige Beteiligungshürde, dar. 

Aus der Verwaltungsvorlage der Stadt Wuppertal:

Diesen Abstimmungsinformationen sollen künftig, ohne besondere Beantragung durch die
Abstimmungsberechtigten, Briefwahlunterlagen hinzugefügt werden. Die wahlberechtigten
Bürgerinnen und Bürger werden somit in die Lage versetzt, ohne weiteren Aufwand, ihr
Abstimmungsrecht auszuüben
.“[1]

2. Die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen erhöht die Beteiligung an Abstimmungen

In der politikwissenschaftlichen Fachliteratur gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Aufwand, an einer Wahl teilzunehmen, und der Wahlbeteiligung. So können beispielsweise längere Öffnungszeiten von Wahlräumen, die Zusammenlegung mehrerer Wahlen und Abstimmungen sowie die automatische Zusendung von Briefwahlunterlagen die Wahlbeteiligung erhöhen.[2]

Eine Auswertung der Universität Bayreuth stellte im vergangenen Jahr einen positiven Effekt der automatischen Zusendung von Briefwahlunterlagen auf die Wahlbeteiligung fest. Untersuchungsgegenstand waren die Stichwahlen bei den bayrischen Kommunalwahlen im März 2020, die coronabedingt als reine Briefwahl durchgeführt wurden. Die Beteiligung sei bei den Stichwahlen „ungewöhnlich stark gestiegen“, die Beteiligung lag über 10 Prozentpunkte über der Beteiligung beim ersten Wahlgang. Die Studie kam zu dem Schluss, dass diese gesteigerte Beteiligung auf die automatische Zusendung der Briefwahlunterlagen und der so reduzierten Hürden für die Bürgerinnen und Bürger zurückzuführen sei.[3]

Auch bei den Bürgerentscheiden in NRW, bei denen die Abstimmungsunterlagen bislang automatisch zugesendet wurden, zeichnet sich eine überdurchschnittlich hohe Beteiligung ab. Bei den Bürgerentscheiden, die in den vergangenen drei Jahren (2020-2023) als reine Briefabstimmung stattgefunden haben und bei denen Abstimmungsunterlagen automatisch verschickt wurden, lag die Beteiligung zwischen 34 und 56 Prozent. Die durchschnittliche Beteiligung an allen Bürgerentscheiden in NRW seit 1994 liegt bei 31 Prozent.

Einen Sonderfall stellt die Gemeinde Roetgen bei Aachen (ca. 7.000 Abstimmungsberechtigte) dar. Hier wurde ein Bürgerentscheid im Jahr 2022 parallel zur Landtagswahl durchgeführt. Beim Bürgerentscheid wurde die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen mit einer Urnenabstimmung kombiniert: Alle Abstimmungsberechtigten erhielten mit der Abstimmungsbenachrichtigung auch die Abstimmungsunterlagen, hatten aber weiterhin die Möglichkeit unter Vorlage des Stimmzettels ihre Stimme für den Bürgerentscheid im Wahllokal abzugeben. Die Beteiligung am Bürgerentscheid lag bei 64,5 Prozent, wobei 42 Prozent der Abstimmungsberechtigten von der Möglichkeit der Briefabstimmung Gebrauch machten.

Die Beteiligungshöhe spielt bei Bürgerbegehren aufgrund des Zustimmungsquorums eine besonders wichtige Rolle. Dieses besagt, dass zusätzlich zur einfachen Mehrheit auch ein bestimmter Anteil aller Abstimmungsberechtigten für einen Bürgerentscheid stimmen muss, damit dieser gültig ist. Das Zustimmungsquorum richtet sich nach der Gemeindegröße und liegt in NRW bei 10-20 Prozent der Abstimmungsberechtigten. Rund 40 Prozent aller Bürgerentscheide in NRW scheitern an dieser Hürde.

3. Die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen spart Kosten

Durch die einstufige Briefabstimmung lassen sich sowohl Sachkosten als auch Personalkosten einsparen.

Dem Mehraufwand durch den sofortigen Versand aller Abstimmungsunterlagen steht beim
individuellen Antragsverfahren der Mehraufwand gegenüber, der dadurch entsteht, dass
Einzelanträge auf Versand der Abstimmungsunterlagen per Brief mit zusätzlichem Sach- und
Personalaufwand bearbeitet werden müssen
.“[4]

So können beispielsweise anfallenden Portokosten reduziert werden, wenn die Briefabstimmungsunterlagen im gleichen Vorgang mit der Abstimmungsbenachrichtigung verschickt werden. Es könne zwar vorkommen, dass sich die Portokosten für die Zusendung der Abstimmungsbenachrichtigung erhöhen, wenn dieser neben dem Abstimmungsheft auch direkt die Abstimmungsunterlagen beiliegen, dafür fallen die Portokosten bei der Übersendung der Briefabstimmungsunterlagen nach eingegangenem Antrag komplett weg. Die Gemeinde Roetgen beziffert die im ersten Schritt gestiegenen Kosten auf rund 400€, macht aber deutlich, dass die Einsparungen im Personalbereich deutlich darüber liegen.[5]

Die Verwaltung der Gemeinde Engelskirchen (ca. 15.800 Abstimmungsberechtigte) beziffert die eingesparten Kosten bei der Nutzung der automatischen Briefabstimmung auf ca. 10.000 Euro.[6]

4. Die automatische Zusendung der Briefabstimmungsunterlagen spart Ressourcen in der Verwaltung

Die Gemeinde Engelskirchen argumentiert, dass die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen außerdem eine deutliche Entlastung der Rathausmitarbeitenden darstellt:

Aufgrund der massiven Vorteile der Satzungsänderung, insbesondere der Kostenersparnis, der Erhöhung der Abstimmungsbeteiligung sowie die Vereinfachung des Verfahren für die Abstimmberechtigten und die deutliche Aufwandsentlastung der Rathausmitarbeiter*innen, hält die Verwaltung einen Beschluss der Satzungsänderung für sehr bedeutsam.[7]

Ähnlich argumentiert auch die Verwaltung der Gemeinde Roetgen: Die einstufige Briefabstimmung würde zu einer „enormen Entlastung“ führen.[8] Zwar stelle die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen zunächst einen Mehraufwand dar, dieser sei aber verglichen mit dem Aufwand, Unterlagen auf Antrag zu versenden, deutlich geringer. In der Regel seien diese Einzelanträge mit einem zusätzlichen Sach- und Personalaufwand verbunden.

Welche Städte, Gemeinden und Kreise in NRW versenden die Abstimmungsunterlagen bereit automatisch?

Immer mehr Städte, Gemeinden und Kreise in NRW setzen bei Bürgerentscheiden inzwischen auf die automatische Zusendung der Abstimmungsunterlagen. Beispiele für die Nutzung sind die Städte Bonn (2020, Beteiligung 39%), Wuppertal (2022, Beteiligung 36%), Siegen (2023, Beteiligung 35%), Welver (2023, 40%), Verl (2023, Beteiligung 47%) und Herten (2023, Beteiligung 34%), die Gemeinden Engelskirchen (2023, Beteiligung 47%), Nümbrecht (2023, Beteiligung 56%[9]) und Roetgen (2022, Beteiligung 65%), sowie der Kreis Düren (2022, Beteiligung 56 %).

Erfahrungen aus anderen Ländern

In der Schweiz ist das Verfahren der automatischen Zusendung der Abstimmungsunterlagen bei Volksentscheiden bereits seit 1994 auf der Bundesebene im Einsatz. Sowohl bei den bis zu vier Abstimmungssonntagen im Jahr und der Nationalratswahl alle vier Jahre bekommen alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger die notwendigen Unterlagen für Abstimmungen und Wahlen automatisch per Post zugeschickt. Genutzt wird die Briefwahl von bis zu 90 Prozent der Wahlberechtigten.[10]

 

 

 

 

Quellen:

Frank, Marco, Stadelmann, David und Torgler, Benno (2022): Higher turnout increases incumbency advantages: Evidence from mayoral elections, in: Economics and Politics, Vol. 3, Issue 2.

O‘Sullivan, Domhnall (2020): Die Schweiz wird zum Briefwahl-Paradies, in: www.swissinfo.ch/ger/politik/direkte-demokratie_die-schweiz-wird-zum-briefwahl-paradies/46073018, zuletzt aufgerufen am 03.08.2023.

Staldar, Susanne (2023): Wie die Schweiz zur Briefwahlnation wurde, in: www.post.ch/de/ueber-uns/aktuell/2023/wie-die-schweiz-zur-briefwahl-nation-wurde /, zuletzt aufgerufen am 03.08.2023.

Verwaltungsvorlage der Gemeinde Roetgen (Beschlussvorlage 2022/466, beschlossen am 08.03.2022): ratsinfo.roetgen.de/public/wicket/resource/org.apache.wicket.Application/doc28030.pdf, zuletzt aufgerufen am 03.08.2023.

Verwaltungsvorlage der Gemeinde Engelskirchen (VO/0518/LP10-23, beschlossen am 15.02.2023): www.engelskirchen.de/allris/to020, zuletzt aufgerufen am 03.08.2023.

Verwaltungsvorlage des Kreis Düren (Drs.Nr. 108/22, beschlossen am 31.03.2022): https://www.sdnet.kreis-dueren.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZQto3JC8usdekQ3Q_GW6Yqneb4AqF_8CgF8EhitehUPI/Vorlage_108-22.pdf, zuletzt aufgerufen am 03.08.2023.

Verwaltungsvorlage der Stadt Wuppertal (VO/0248/17, beschlossen am 10.07.2017): ris.wuppertal.de/getfile.asp, zuletzt aufgerufen am 03.08.2023.

 

 


[1] Vgl. Verwaltungsvorlage der Stadt Wuppertal.

[2] Vgl. Frank, Stadelmann und Torgler (2022), S. 3.

[3] Vgl. Frank, Stadelmann und Torgler (2022), S. 22.

[4] Vgl. Verwaltungsvorlage Gemeinde Roetgen.

[5] Vgl. Verwaltungsvorlage Gemeinde Roetgen.

[6] Vgl. Verwaltungsvorlage der Gemeinde Engelskirchen.

[7] Vgl. Verwaltungsvorlage der Gemeinde Engelskirchen.

[8] Vgl. Verwaltungsvorlage Gemeinde Roetgen.

[9] Anmerkung: Der Bürgerentscheid wurde rückwirkend als Bürgerbefragung gewertet.

[10] Vgl. Staldar, Susanne (2023): Wie die Schweiz zur Briefwahlnation wurde.

Bürgerentscheide nur per Briefabstimmung?

Die Verordnung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums zur Durchführung von Bürgerentscheiden erlaubt auch, Bürgerentscheide ausschließlich per Briefabstimmung und nicht mehr durch die Stimmabgabe im Stimmlokal durchzuführen.

Aus Sicht von Mehr Demokratie entwertet eine solche Praxis jeden Bürgerentscheid, denn

  • Es wird vermittelt, dass Bürgerentscheide als nicht so wichtig wie Wahlen anzusehen sind, ein entsprechender Aufwand also nicht nötig und nur störend und zu teuer ist. Tatsächlich handelt es sich aber bei Wahlen wie bei Abstimmungen um wichtige politische Grundrechte der Bürger auf politische Selbstbestimmung, denen eine entsprechende Achtung und Wertschätzung gebührt.
  • Der Urnengang ist für viele Bürger ein wichtiges demokratisches Ritual, dass niemandem vorenthalten werden sollte.
  • Entfällt die Urnenabstimmung, droht Bürgerentscheiden eine geringere öffentliche Aufmerksamkeit und damit eine niedrigere Abstimmungsbeteiligung, wenn die Zusendung der Abstimmungsunterlagen etwa noch einmal extra beantragt werden muss.

 

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Das Thesenpapier als PDF:

  • Thesenpapier_automatische_Briefwahl_HP.pdf

    24. Juni 2024

Satzungempfehlung

Für faire Bürgerentscheide: Die besten Spielregeln in unserer Satzungsempfehlung für Kommunen bzw. für Kreise (pdf)