Pressemitteilung

Schlechte Noten für direkte Demokratie in NRW

Mehr Demokratie stellt Volksentscheid-Ranking vor

Düsseldorf/Köln - Schlechte Noten für die direkte Demokratie im Land hat Nordrhein-Westfalen heute von der Initiative Mehr Demokratie bekommen. In einem heute auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf vorgestellten Volksentscheid-Ranking schneidet NRW mit der Gesamtnote "ausreichend" nur sehr mäßig ab.

 

In dem zum zweiten Mal veröffentlichten Ranking hat Mehr Demokratie die Bürgerfreundlichkeit der Verfahren für kommunale Bürgerbegehren und landesweite Volksbegehren in den einzelnen Bundesländern miteinander verglichen und bewertet. Negativ zu Buche schlägt in NRW vor allem die direkte Demokratie auf Landesebene. Mehr Demokratie kritisiert vor allem die hohe Hürde für Volksbegehren. Um einen Volksentscheid herbei zu führen, müssen sich binnen acht Wochen 8 Prozent aller Bürger in den Rathäusern für ein solches Begehren eintragen. Das sind mehr als eine Million Unterschriften. Zum Vergleich: In Brandenburg liegt die Hürde bei 4 Prozent in vier Monaten, in Schleswig-Holstein bei 5 Prozent in sechs Monaten.

 

In 61 Jahren Landesgeschichte gab es in NRW nur ein einziges erfolgreiches Volksbegehren. 1978 hatten sich mehr als 3,6 Millionen Wähler für das Volksbegehren gegen die Einführung der Kooperativen Schule eingetragen. Die damalige Landesregierung aus SPD und FDP hatte daraufhin ihr Vorhaben zur Einführung dieses neuen Schultyps aufgegeben. Damals lag die Unterschriftenhürde für Volksbegehren mit 20 Prozent in zwei Wochen noch viel höher. Erst 2002 hatte der Landtag auf Drängen von Mehr Demokratie die Durchführung von Volksbegehren durch eine Änderung der Landesverfassung erleichtert.

 

Als Bremsklotz der direkten Demokratie sieht Mehr Demokratie auch den Ausschluss von Volksbegehren zu so genannten "finanzwirksamen Fragen". Wegen dieses Themenausschlusses konnten die beiden im letzten Jahr vom Landtag abgelehnten Jugend-Volksinitiativen ihr Ziel der Wiederaufstockung der Mittel für die Jugendförderung nicht auf diesem Weg weiter verfolgen.

 

Wichtig ist für Mehr Demokratie auch die Einführung obligatorischer Abstimmungen über Verfassungsänderungen. "Obligatorische Verfassungsreferenden stärken das Verfassungs- und Staatsbewusstsein der Bürger", so Daniel Schily, Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie. Er schlägt vor, die seit 1950 nicht mehr grundsätzlich überarbeitet Landesverfassung einer Renovierung zu unterziehen und die Bürger über die modernisierte Version abstimmen zu lassen. Derartige Volksabstimmungen gibt es bisher nur in Bayern und Hessen.

 

Auch auf kommunaler Ebene sind viele wichtige kommunalpolitische Fragen vom direkten Zugriff der Wähler per Bürgerentscheid ausgeschlossen. Unzulässig sind so etwa Bürgerbegehren zu Flächennutzungs- und Bebauungsplänen. Im vergangenen Jahr verpufften deshalb etwa Begehren gegen die Bebauung der Ruhranlage in Mülheim und gegen den Bau eines Einkaufszentrums in Gummersbach wirkungslos, obwohl sie von zahlreichen Bürgern unterstützt worden waren. Für die umfangreichen Themenausschlüsse gab es deshalb von Mehr Demokratie die Note 5.

 

Ein weiterer Stolperstein ist die Abstimmungshürde beim Bürgerentscheid. Damit ein Bürgerbegehren erfolgreich ist, muss die Mehrheit der Abstimmenden gleichzeitig auch mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten ausmachen. Andernfalls ist der Bürgerentscheid ungültig. Auf diese Weise scheiterte erst Anfang Februar ein Bürgerbegehren für die Anlage eines Friedwaldes in Möhnesee. Insgesamt wird in NRW jedes zweite zur Abstimmung stehende Bürgerbegehren durch das Zustimmungsquorum zu Fall gebracht.

 

Im Vergleich zum ersten, von Mehr Demokratie vor vier Jahren veröffentlichten Volksentscheid-Ranking gab es bei den Verfahren für die direkte Demokratie zwischen Rhein und Weser nur leichte Verbesserungen. So wurde für landesweite Volksinitiativen die knappe Sammelfrist von acht Wochen gestrichen und die freie Unterschriftensammlung anstelle der Eintragung in den Rathäusern eingeführt. Bei kommunalen Bürgerentscheiden sind Benachrichtigung, Briefabstimmung und umfassende Information der Bürger über den Abstimmungsgegenstand seit 2004 obligatorisch. Beide Verbesserungen gehen auf Kritik und Verbesserungsvorschläge von Mehr Demokratie zurück.

 

In der Hitliste der 16 Bundesländern liegt Nordrhein-Westfalen hinter Bayern, Berlin und Hamburg auf Platz 4. "Dies aber nicht vielleicht deshalb, weil die direkte Demokratie hierzulande doch ganz annehmbar ist, sondern weil NRW im Ländervergleich die Position eines Einäugigen unter den Blinden einnimmt", erläuterte Schily die Platzierung. In den meisten anderen Bundesländern stehe es um die Praxistauglichkeit von Bürger- und Volksbegehren noch viel schlechter.

 

Schily richtete an die Landesregierung den dringenden Appell, sich der aufgezeigten gravierenden Probleme anzunehmen. "Bei der geplanten Reform der Kommunalverfassung geht es um einen weiten Demokratiesprung nach vorn oder das Verharren in unfertigen Zuständen", so der Geschäftsführer.

 

Ein großer Sprung nach vorn ist derzeit aber eher nicht zu erwarten. CDU und FDP planen lediglich die Einführung von Ratsbegehren und Ratsreferendum. Hiermit sollen die gewählten Gemeindevertreter die Möglichkeit erhalten, die Bürger von sich aus über eine wichtige kommunalpolitische Frage abstimmen zu lassen. Durch das Inkrafttreten einer aufschiebenden Wirkung für Bürgerbegehren nach deren Einreichung sollen diese Initiativen besser vor dem unterlaufen werden durch Räte oder Bürgermeister geschützt werden. Zuletzt hatte der Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU) trotz eines mit 90.000 Unterschriften eingereichten Begehrens einen Vertrag über den Verkauf der Stadtwerke-Mehrheit an den Energieversorger EnBW unterzeichnet.

 

<link http: www.mehr-demokratie.de ranking.html>Volksentscheid-Ranking 2007

 

Pressesprecher


Jens Mindermann
Tel.: 0221 669 665 10
E-Mail: presse.nrwkein spam@mehr-demokratie.de

Fakten und Argumente