Pressemitteilung

NRW spitze bei wirkungslosen Bürgerentscheiden

Mehr Demokratie legt ersten bundesweiten Bürgerbegehrensbericht vor

Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit dem höchsten Anteil ungültiger Bürgerentscheide. Das ist eines der Ergebnisse des heute von der Initiative "Mehr Demokratie" und der Forschungsstelle für Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie an der Universität Marburg veröffentlichten ersten bundesweiten Bürgerbegehrensberichts. Danach liegt die Quote der im Bürgerentscheid durch die Abstimmungshürde zu Fall gebrachten Bürgerbegehren in NRW bei 51,1 Prozent. Im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil bei nur 13 Prozent.

 

"Schuld daran ist das für die Großgemeinden in NRW unangemessen hohe Zustimmungsquorum", erklärte Daniel Schily, Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie, am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Damit ein Bürgerbegehren im Bürgerentscheid erfolgreich ist, muss die Mehrheit der Abstimmenden mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten ausmachen. "Diese Hürde ist in kleinen Gemeinden relativ leicht zu knacken, in Großstädten aber fast nie", so Schily. Als Beispiel nannte er das am Sonntag in Düsseldorf an der Abstimmungshürde gescheiterte Bürgerbegehren zur Zukunft des Golzheimer Friedhofs.

 

Nach den Zahlen von Mehr Demokratie schmilzt die Abstimmungsbeteiligung mit wachsender Gemeindegröße zusammen. Während sie im Schnitt bei 50 Prozent liegt, verringert sie sich in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern auf durchschnittlich 20 Prozent. "In großen Kommunen sind weniger Bürger von einem Stadtteilthema direkt betroffen, weswegen auch der Mobilisierungseffekt von Bürgerentscheiden dort geringer ist", erläuterte der Geschäftsführer der Zusammenhang. Mehr Demokratie fordert deshalb eine Senkung des Zustimmungsquorums insbesondere für Großstädte.

 

Die Abstimmungshürde ist auch einer der Gründe für die im Bundesvergleich unterdurchschnittliche Erfolgsquote von Bürgerbegehren in NRW. Während bundesweit mehr als 40 Prozent aller Begehren Erfolge erzielen konnten, sind es zwischen Rhein und Weser nur 33,9 Prozent. Dafür liegt NRW bei der Quote unzulässiger Bürgerbegehren mit 35,1 Prozent über dem Bundesschnitt von 28 Prozent. Mehr Demokratie macht hierfür den umfangreichen Themenausschlusskatalog für Bürgerbegehren verantwortlich. Unzulässig sind anders als in einigen anderen Bundesländern etwa Begehren zum Bau von Einkaufszentren, neuen Rathäusern und anderen Stadtentwicklungsprojekten. In Köln war erst Ende Januar ein Bürgerbegehren gegen den Ausbau des Godorfer Hafens für unzulässig erklärt worden.

 

Insgesamt haben Mehr Demokratie und die Marburger Forschungsstelle in Deutschland bis Ende 2007 4.587 direktdemokratische Initiativen gezählt, darunter 478 in NRW. Von den bundesweit 2.226 Bürgerentscheiden fanden 137 in Nordrhein-Westfalen statt. In 55,7 Prozent aller Gemeinden des Landes wurden bereits Unterschriften für Bürgerbegehren gesammelt. Bundesweit liegt der Anteil nur bei 20 Prozent. Verteilt auf die jeweilige Zahl der Gemeinden in einem Bundesland liegt Nordrhein-Westfalen bei der Zahl der Verfahren hinter Hamburg, Berlin und Bremen auf Platz 4.

 

Die meisten Verfahren in NRW zählen die Städte Düsseldorf mit elf Bürgerbegehren und einem Bürgerentscheid und Wuppertal mit neun Begehren und ebenfalls einer Abstimmung. Bundesweit liegt München mit 20 Initiativen und sieben Bürgerentscheiden vorne.

 

Thematisch geht es in NRW bei Bürgerbegehren besonders oft um die Zukunft von Freizeit-, Sozial- und Bildungseinrichtungen. Fast jedes dritte Begehren wendet sich so etwa gegen die Schließung von Bädern oder Schulen. "Beliebt" sind auch Bürgerbegehren zu Verkehrsfragen, zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen und zum Abriss oder zur Sanierung von Rathäusern.

 

Mehr Demokratie liest aus den Zahlen einen wachsenden Wunsch nach direkter Demokratie. "Es gibt offenbar einen großen Bedarf an direkter Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger zwischen den Wahlen", schlussfolgerte Geschäftsführer Schily. Der starke Anstieg der Zahl der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide seit Anfang der 90er Jahre, insbesondere seit 1996, belege dies. Diese Entwicklung zeige sich auch in einer vermehrten Initiierung von Volksbegehren in den Bundesländern sowie im internationalen Trend zu mehr direkter Demokratie. So hat sich nach Erhebungen des "Initiative and Referendum Institute" die Zahl nationaler Volksabstimmungen in Europa von 129 in den Jahren 1981 - 1990 auf 248 in den Jahren 1991 - 2000 nahezu verdoppelt.

 

Insbesondere in größeren Gemeinden und Städten gibt es laut Mehr Demokratie einen höheren Bedarf, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid anzuwenden. In vielen Städten fänden Begehren und Entscheide mittlerweile häufiger statt, wenngleich die Praxis nicht als regelmäßig beschrieben werden könne. "Es lässt sich aber beobachten, dass sich die Politik hin zu einer offeneren und transparenteren Beteiligungskultur bewegt", stellte Schily fest.

 

Angesichts der hohen Zahl gescheiterter Bürgerbegehren seien aber Reformen insbesondere in Nordrhein-Westfalen notwendig. Die vom Landtag im vergangenen Jahr beschlossenen Änderungen der Regeln für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide seien vollkommen unzureichend. "Mit Blick auf die Entwicklung in anderen Bundesländern besteht die Gefahr, dass NRW seinen vorderen Platz als Einäugiger unter den Blinden in Demokratiefragen an Länder mit doppelter Sehstärke verliert", richtete der Vereinschef einen Appell an das Landesparlament.

 

<link>Bürgerbegehrensbericht: Die Fakten in Kurzform

<link http: www.mehr-demokratie.de fileadmin pdfarchiv bund>Bürgerbegehrensbericht - Vollversion (pdf, 36 Seiten)

 

Pressesprecher


Jens Mindermann
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