"Neue Medien bieten große Chancen"

Prof. Dr. Silvano Moeckli

Am 4. März 2018 werden die Schweizer über die Volksinitiative „Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren“ abstimmen. Diese Empfangsgebühren tragen heute entscheidend zur Finanzierung des nationalen öffentlichen Rundfunks sowie von Lokalradios und Regional-TV in der Schweiz bei.

Auch in Deutschland wird Kritik an Rundfunkgebühren geübt. Unabhängige Informationen sind in einer Demokratie eine wichtige Entscheidungshilfe bei Wahlen und Volksentscheiden. Wir haben deshalb den Politikwissenschaftler und Demokratie-Experten Prof. Silvano Moeckli nach Einfluss und Rolle der Medien insbesondere in der direkten Demokratie gefragt.

 

Mehr Demokratie: Herr Professor Moeckli, die Schweizer stimmen über die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks ab. Was bedeutet das und welche Folgen könnte eine Entscheidung für die Abschaffung der Rundfunkgebühren haben?

Prof. Dr. Silvano Moeckli: Öffentliche und auch privaten Radio- und Fernstehstationen hätten auf einen Schlag jährlich 1,3 Milliarden Franken weniger Einnahmen. Hart treffen würde es vor allem die mediale Versorgung in den französisch- und italienischsprachigen Teilen der Schweiz, denn diese wird zu einem guten Teil durch Gebührenzahler in der deutschsprachigen Schweiz finanziert. Die Haushalte würden um rund 300 Euro jährlich entlastet, müssten sich auf der anderen Seite aber auch mit viel „seichteren“, öfter mit Werbung unterbrochenen und regional kaum mehr verankerten Medieninhalten von privaten Medienunternehmungen und aus dem Ausland abfinden. Für einzelne Angebote würden sie direkt zur Kasse gebeten.

Folgende Sätze würden nicht mehr in der Bundesverfassung stehen: „Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.“ Was die weiteren Folgen für die Medienlandschaft und die Demokratie angeht, sind die Meinungen zwischen Befürwortern und Gegnern naturgemäß geteilt. Das folgt dem üblichen Muster in Abstimmungskämpfen: Die Initianten stellen die Zukunft in den buntesten Farben dar, die Gegner sehen den Untergang am Horizont.

 

Mehr Demokratie: Wäre in Deutschland eine Volksabstimmung über die Rundfunkgebühren möglich?

Moeckli: Nein. Mir ist weltweit kein anderer Staat bekannt, in dem man durch eine niederschwellig ausgestaltete Volksinitiative die Abschaffung der Radio- und Fernsehempfangsgebühr zur Volksabstimmung bringen kann.

 

Mehr Demokratie: Skeptiker warnen vor der Einführung bundesweiter Volksentscheide mit dem Argument des negativen Einflusses von Boulevard-Medien. Haben sie recht? Welche positive Rolle können Medien in der direkten Demokratie spielen?

Moeckli: Medien, deren Inhalte überwiegend nachfrageorientiert sind, haben gewiss einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Demokratie, nicht nur die direkte Demokratie. In Wahlkämpfen sind die Einflüsse eher stärker als in Abstimmungskämpfen, da bei Wahlen die Personen viel stärker in den Vordergrund gerückt werden.

Eine positive Rolle haben die Medien, wenn sie sachgerecht und ausgewogen berichten. Dazu sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten verpflichtet, nicht aber die privaten Medienunternehmungen. Ein einzelnes Medium muss nicht ausgewogen sein, aber das Mediensystem insgesamt. Die neuen Medien bieten für die Organisation direktdemokratischer Aktivitäten auch große Chancen, so für die Mobilisierung von Aktivisten, den weltumspannenden Austausch, die Unterschriftensammlung, die Abstimmungskampagne oder das Fundraising. „Mehr Demokratie“ nutzt die neuen Medien ja mit Virtuosität.

 

Mehr Demokratie: In der Debatte um soziale Medien spielen so genannte „Fake News“, als unwahre Nachrichten, eine große Rolle. Wie kann man die direkte Demokratie vor diesem negativen Einfluss schützen?

Falsche und irreführende Nachrichten wurden schon immer verbreitet, nur hat man sie nicht „Fake News“ genannt. Im Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 soll der Verleger William Randolph Hearst versucht haben, den Krieg zu schüren, um die Auflage des „New York Journal“ zu steigern.

Fake News bedrohen nicht speziell die direkte Demokratie, sondern die Demokratie insgesamt. Die sozialen Medien sind ein neuer Kanal, der es jedermann erlaubt, Fälschungen, Verleumdungen, Verdrehungen, Diffamierungen usw. in die Welt zu setzen. Große Wirkung erzielen solche Inhalte aber meist nur, wenn sie auch über die Massenmedien weiter verbreitet werden. Diese Multiplikation muss man zu unterbinden versuchen und Korrektive einbauen.

Ein Patentrezept hat heute niemand. Aber gerade die sozialen Medien demonstrieren, wie wichtig öffentlich-rechtliche Medienunternehmungen wie die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft sind, welche ein breites Informationsangebot haben und einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet sind.

 

Mehr Demokratie: Würden Sie Deutschland die Einführung bundesweiter Volksentscheide empfehlen?

Moeckli: Frei nach Radio Eriwan: Im Prinzip ja, denn direkte Demokratie „von unten“ ist eine wertvolle zusätzliche Rückkoppelungsschlaufe zwischen Regierenden und Regierten. Aber es kommt auf das Design an. Dieses müsste mit den bestehenden bundesdeutschen politischen Strukturen und Prozessen und der gewachsenen politischen Kultur kompatibel sein. Ich verstehe - mal abgesehen von machtpolitischen Interessen - die ernsthaften Bedenken, Volksabstimmungen könnten unter den gegebenen Verhältnissen zu Blockaden führen und dem Populismus weiter Auftrieb verleihen.

Vielleicht sollte man es ähnlich machen wie bei einem Joghurt: Das neue Instrument zunächst mit einem „Ablaufdatum“ versehen. Nach etwa einer Dekade könnte man Bilanz ziehen und beraten, ob man es beibehalten möchte. Das könnte die Bedenkenträger etwas besänftigen. Im Übrigen ist im Grundgesetz ja eine gute Antiviren-Software gegen grund- und völkerrechtsfeindliche Viren installiert: ein starkes Bundesverfassungsgericht.

 

Silvano Moeckli (* 1950) ist ein Schweizer Politikwissenschafter und internationaler Demokratie- und Wahlexperte. Er ist emeritierter Titularprofessor der Universität St. Gallen für Politikwissenschaft, mit besonderer Berücksichtigung des Vergleichs politischer Systeme und der empirischen Sozialforschung.

Pressemitteilung

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