Ein Mikro-Bürgergutachten für eine Kommune

Ganz besonders interessierte Bürgerinnen und Bürger kamen unlängst für einen Samstag Nachmittag zusammen, um zu beraten: Ob und unter welchen Umständen Altbauten erhalten werden sollten, die das Stadtbild prägen. Ihr Ziel war, Empfehlungen zu diesem strittigen Thema für den Stadtrat und die städtische Verwaltung zu entwickeln. Veranstaltet wurde dies von der Mehr Demokratie e.V. Regionalgruppe Bielefeld in Kooperation mit der Volkshochschule. Man wollte gleichzeitig ein schlankes Bürgerbeteiligungsverfahren prüfen, das auch zu anderen schwierigen Fragen eingesetzt werden könnte.

Landesvorstand Karin Duden übergibt Mikro-Bürgergutachten an Oberbürgermeister Pit Clausen.

Der Entwickler des Mikro-Bürgergutachtens, Wolfgang Scheffler aus Bayern, führte schrittweise durch den Prozess. Fachliche Informationen aus verschiedenen Perspektiven wurden von zwei Experten anschaulich vermittelt – in unserem Fall durch:

Bernd Vollmer, langjähriges Beiratsmitglied für Stadtgestaltung, sprach über Verluste von Bielefelder  Altbauten, gefährdete Gebäude und Bewertungsmöglichkeiten. Für die Teilnehmenden schloss sich folgende Frage an: Wie kann ein nachhaltiger Umgang mit Stadtbild-prägenden Altbauen aussehen?

Prof. Eduard Führ, Architekturtheoretiker und Gutachter für städtebauliche Projekte, behandelte den Umgang mit Bielefelder Altbauten in Vergangenheit und Zukunft: Wie können Geschichte und Identität Bielefelds erhalten bleiben? Wie können Neubauten auf die bestehenden Altbauten und auf den städtebaulichen Kontext abgestimmt werden? Wie können sich Geschichte und Kultur weiterentwickeln? Diese Aspekte wurden von den  Teilnehmenden unter folgender Fragestellung vertieft: Nach welchen Gesichtspunkten sollen Altbauten erhalten und Neubauten besser auf Vorhandenes abgestimmt werden?

Nach jedem Vortrag hatten die Teilnehmenden jeweils eine halbe Stunde Zeit, sich in Kleingruppen zum Thema auszutauschen und auf die drei wichtigsten Vorschläge zu einigen. Im Plenum wurden alle Vorschläge gesammelt, Schwerpunkte gesetzt und Abstimmungen durchgeführt - als Grundlage für Empfehlungen an den Stadtrat. Die Empfehlungen folgen hier, ergänzt durch die Abstimmungs-ergebnisse (Ja, Nein, Enthaltung):

  1. Eigentümer zu nachhaltigem Erhalt von Gebäuden motivieren / verpflichten; Verfall und Leerstand entgegenwirken (J:9, N:0, E:0)
  2. Neubau ästhetisch an Altbauten im Quartier angleichen: Baukörper gliedern, Fassaden angleichen mit entsprechenden Fenstern, Geschosshöhen, Simsen (J:9, N:0, E:0)
  3. Beirat für Stadtgestaltung stärken (J:9, N:0, E:0)
  4. Gemeinwohl und städtisches Eigeninvestment in den Fokus rücken (J:9, N:0, E:0)
  5. Transparenz und kein Abriss ohne Information an die Bürger (J:8, N:0, E:1)
  6. Gebäudekataster von Stadtbild-prägenden Gebäuden frühzeitig erstellen (J:8, N:0, E:1)
  7. Ästhetik vermittelt Identität und Wertschätzung (J:8, N:0, E:1)
  8. Wenn ein Neubau geplant wird, dann bitte mit nachhaltigen Baustoffen (J:7, N:0, E:2)
  9. Beachtung bestehender und Entwicklung neuer verbesserter sozialer Strukturen im Quartier
    (J:7, N:0, E:2)
  10. Neubau maximal als Ergänzung zu historischem Altbau, nicht als Ersatz (J:5, N:2, E:2)
  11. Neubau nutzen, um Altbau aufzuwerten (J:4, N:1, E:3)


Mit dem Mikro-Bürgergutachten können Ratsmitglieder und zuständige Dezernate Einblicke darüber gewinnen, welche Gesichtspunkte Bürger und Bürgerinnen zum Erhalt von Altbauten berücksichtigt sehen möchten. Das Mikro-Bürgergutachten wurde dem Oberbürgermeister feierlich übergeben und den Fraktionsvorsitzenden zugestellt.

Im Vergleich zu anderen, wesentlich umfangreicheren Beteiligungsverfahren ist dieses Format für überschaubare kommunale Anliegen empfehlenswert und niedrigschwellig für alle Beteiligten. Vier Zeitstunden, unterbrochen durch eine Kaffeepause, sind gut zu bewältigen; weitere Verpflichtungen entstehen nicht.

Das strukturierte Vorgehen von jeweils maximal 30 Minuten für Informationsvermittlung, Vertiefung in Kleingruppen und Sammlung bzw. Bewertung im Plenum wird strikt eingehalten. Die jeweils neu per Losverfahren zusammengestellten Kleingruppen beginnen sofort mit der Diskussion zur vorgegebenen Frage. Eine angenehme Arbeitsatmosphäre lässt sich beobachten und wird auch von anderen Veranstaltungen in diesem Format immer wieder berichtet.

Wünschenswert ist natürlich eine per Losverfahren aus dem Einwohnermelderegister rekrutierte Teilnehmerschaft; mangels finanzieller Ressourcen konnten wir dieses Kriterium nicht erfüllen.  Auch eine Teilnehmeranzahl von 25 Personen ist uns trotz größtmöglicher Öffentlichkeitsarbeit diesmal nicht gelungen. Weitere Mikro-Bürgergutachten zu ergänzenden Aspekten oder anderen Anliegen sind möglich.

Als Beteiligungsverfahren kann das Mikro-Bürgergutachten leicht auf andere Anliegen übertragen werden, denn: Kontroverse Themen auf kommunaler Ebene sind vielfach vorhanden.

Pressemitteilung

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