"Die Bürger fordern Gehör"

Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wird viel über die Demokratie in den Vereinigten Staaten diskutiert. Nur wenige wissen, dass es in vielen US-Bundesstaaten auch die Möglichkeit von Volksentscheiden gibt.

Wir haben darüber mit Daniela Vancic von Democracy International gesprochen. Als European Programme Manager ist sie für die Organisation der Kampagnen des global agierenden Demokratie-Verbandes verantwortlich, mit dem wir in Bürogemeinschaft zusammenarbeiten.

 

Mehr Demokratie: Daniela, Du bist in Michigan aufgewachsen, einem US-Bundesstaat mit direkter Demokratie. Was sind Deine Erfahrungen dort und was sind Deine persönlichen Eindrücke?

Daniela Vancic: Wenn man an einem Ort aufwächst, an dem die direkte Demokratie aktiv praktiziert wird, wird es selbstverständlich, dass man bei den wichtigen Themen ein echtes Mitspracherecht hat. Dein Interesse an Beteiligung wächst, weil Du weißt, dass Deine Stimme einen direkten Einfluss hat, und die Abstimmung wird viel persönlicher. Ich finde, dass sich die Bürger in Michigan besonders gut über die Probleme, die sich in ihrer Gemeinde und ihrem Staat abspielen, im Klaren sind.

Auch in Michigan gibt es die sich weltweit abzeichnende Entwicklung, dass die Kluft zwischen Politikern und Bürgern immer größer wird. Wenn ich das Vertrauen in Politiker verliere, weiß ich, dass ich per Volksentscheid zumindest ein direktes Mitspracherecht bei landespolitischen Fragen habe. Ich muss nicht darauf warten, dass ein staatlicher Gesetzgeber, mit dem ich nicht einverstanden bin, über ein bestimmtes Thema abstimmt - ich habe das Recht, selbst direkt über dieses Thema abzustimmen und meiner Stimme Gehör zu verschaffen.

 

Mehr Demokratie: Hast Du selbst aktiv an Volksabstimmungen teilgenommen? Welche direktdemokratischen Initiativen haben Dich am meisten beeindruckt?

Vancic: Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass ich seit meinem 18. Lebensjahr über jede Vorlage abgestimmt habe. Es gab in den letzten Jahren eine Reihe interessanter Themen, die zur Abstimmung kamen. Die Initiative, die mich am meisten beeindruckt, ist ein Vorschlag, über den noch nicht abgestimmt wurde. Die per Volksbegehren vorgeschlagene Verfassungsänderung will die Manipulation von Wahlkreisgrenzen durch Gerrymandering beenden. Beim Gerrymandering schneiden Parteien sich Wahlkreise nach ihren Wünschen zurecht. Hierdurch können diese Parteien über lange Zeiträume an der Macht bleiben, da sie sich ihre Wähler selber aussuchen können.

Ich habe mich besonders für diese Initiative interessiert, weil es um ein Thema geht, das unabhängig von der politischen Ausrichtung unterstützt werden kann. Das Volksbegehren, das eine unabhängige Bürgerkommission zur Neuordnung der Bezirksgrenzen vorschlägt, befähigt die Bürgerinnen und Bürger, sich gegen die Macht der politischen Parteien zu stellen. Im November dieses Jahres werden die Bürger Michigans selbst entscheiden, ob sie die Verfassung des Staates ändern wollen oder nicht, und ob damit diese Macht den Politikern entzogen und den Wählern zurückgegeben wird, wo sie hingehört.

 

Mehr Demokratie: Du lebst seit 2017 in Deutschland. Wo gibt es Unterschiede zur Demokratie in den USA?

Vancic: Meine Antwort auf diese Frage ist zwiespältig: Einerseits besteht auf nationaler Ebene der USA ein Mangel an Vertrauen in das demokratische System, da wir derzeit einen amtierenden Präsidenten haben, der drei Millionen Stimmen weniger erhielt als seine Gegnerin. Das amerikanische Zweiparteiensystem repräsentiert auch nicht die politische Vielfalt des amerikanischen Volkes. In Deutschland empfinde ich die nationale Demokratie in dieser Hinsicht als stärker, da das Mehrparteiensystem eine lebendigere Demokratie fördert, in der die Bürgerinnen und Bürger eine größere Vielfalt bei der Wahl ihrer Vertreter haben. Die Sitze im Bundestag sind proportional nach dem Wahlergebnis aufgeteilt und Parteien müssen sich zu einer Koalition zusammenschließen, um eine Mehrheit zu haben. Leider praktiziert keines der beiden Länder direkte Demokratie auf nationaler Ebene.

Andererseits finde ich auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene in den USA die Demokratie in den Bundesstaaten mit Volksentscheiden stärker als in den deutschen Bundesländern, wo es sie auch gibt. Vielleicht liegt das daran, dass US-Bundesstaaten mit direkter Demokratie die dort schon länger etablierten Volksabstimmungen regelmäßig aktiv nutzen. Ich bin auch der Meinung, dass das Themenspektrum der Volksentscheide in den USA weitaus umfangreicher ist.

Die Unterschiede in den politischen Systemen der beiden Länder sind groß, aber der Wille des Volkes ist derselbe: Die Bürger fordern Gehör, sie stellen sich gegen Entscheidungen, die hinter verschlossenen Türen zugunsten von Interessengruppen getroffen werden, und sie wollen mehr Rechenschaftspflicht und Transparenz von ihren Regierungen.

 

Mehr Demokratie: Würdest Du aufgrund der Erfahrungen in den USA mehr direkte Demokratie in Deutschland empfehlen?

Vancic: Absolut! Meine Erfahrung ist, dass die Menschen ein stärkeres Interesse an Beteiligung haben, wenn man ihnen ein direktes Mitspracherecht bei wichtigen Themen gibt. Das Niveau der Debatten ist viel höher und die Gesellschaft insgesamt ist dynamischer, kreativer und offener.

Beispielsweise wird es in diesem Jahr besonders in Michigan eine ungewöhnlich hohe Zahl von Volksentscheiden geben. Ich denke, aufgrund des gegenwärtigen politischen Klimas verlangen die Menschen, dass sie auf eine Weise Gehör finden, die nicht die Zustimmung eines Politikers in der Landeshauptstadt erfordert. Die Menschen holen sich die Macht zurück.

Eine gesunde, florierende Demokratie braucht gut informierte Bürger. Meine bisherigen Erfahrungen in Deutschland - ich denke da an die unglaublichen Demonstrationen gegen TTIP - haben mich gelehrt, dass die Deutschen gut informiert sind und dass sie ihre eigenen Wege finden, um von ihrer Regierung mehr zu verlangen. Es ist an der Zeit, dass Deutschland den Menschen das Recht gibt, über die Zukunft des Landes zu entscheiden!

Pressemitteilung

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