Initiative startet Demokratie-Kampagne zur Landtagswahl
Nordrhein-Westfalen ist seit 60 Jahren ohne Volksentscheid. Für die Initiative „Mehr Demokratie“ Anlass, eine Kampagne für bürgerfreundliche Volksabstimmungs-Verfahren zu starten. Mittel hierfür sind eine Online-Kampagne und Straßenaktionen. Mehr Demokratie will damit die kommende Landesregierung zu Reformen bewegen.
„Für NRW müssen wir leider auch für das vergangene Jahr wieder eine Null in die Volksentscheid-Statistik eintragen“, bedauerte Geschäftsführer Alexander Slonka bei der Vorstellung des aktuellen Volksbegehrensberichts des Vereins. Während in allen Bundesländern laut Zahlen des Vereins im vergangenen Jahr insgesamt 46 Volksinitiativen und Volksbegehren liefen, scheiterte in NRW schon der Versuch der Einleitung eines Volksbegehrens gegen das Nichtraucherschutzgesetz. In anderen Bundesländern konnten die Bürger auf dem Weg der direkten Demokratie hingegen einiges bewirken. So erreichte eine Initiative in Berlin eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung des Religionsunterrichts, in Hamburg schloss die Bürgerschaft mit „Mehr Demokratie“ als Träger eines Volksbegehrens einen Kompromiss über ein demokratischeres Wahlrecht für die Hansestadt. Dort wird es voraussichtlich im Sommer auch zu einem Volksentscheid über das Schulsystem kommen. Die Bayern können zu dieser Zeit über die Verbesserung des Nichtraucherschutzes abstimmen.
Insgesamt wurden in den Ländern bisher 238 Volksinitiativen und Volksbegehren eingeleitet, 16 mal kam es zu Volksentscheiden. Spitzenreiter sind dabei die Länder Brandenburg und Hamburg, wo praktisch jedes Jahr eine derartige Initiative gestartet wird. Während in Brandenburg alle 2,3 Jahre ein Volksbegehren läuft, kommt dies in NRW nur einmal in 30 Jahren vor. Das letzte Volksbegehren war hier das 1978 gestartete Begehren gegen die Kooperative Schule. Aufgrund der Unterstützung durch mehr als 3,6 Millionen Unterschriften in nur zwei Wochen hatte die Landesregierung aus SPD und FDP seinerzeit ihre geplante Schulreform aufgegeben. Seit 1950 gab es in Nordrhein-Westfalen nur zwei Volksbegehren, seit ihrer Einführung 2002 außerdem neun Volksinitiativen, von denen aber nur die des Bundes der Steuerzahler für eine Reform der Abgeordnetendiäten erfolgreich war.
Dass es in NRW noch nie zu einem direkten Bürgervotum kam, liegt laut Mehr Demokratie an zu hohen Hürden. „Für einen Volksentscheid müssen binnen acht Wochen rund eine Million Bürger ein Volksbegehren unterschreiben, was leider nur in den Rathäusern möglich ist“, erläuterte Slonka das Verfahren. In immerhin acht anderen Bundesländern können Unterschriften hingegen auch auf der Straße gesammelt werden. Mehr Demokratie fordert die Senkung der Unterschriftenhürde von acht auf zwei Prozent und die Einführung der freien Unterschriftensammlung. Außerdem soll die Eintragungsfrist auf ein halbes Jahr ausgedehnt werden.
Verbesserungsbedarf sieht Mehr Demokratie auch beim kommunalen Bürgerentscheid. „Die Auseinandersetzung um den Abstimmungstermin für das Schauspielhaus-Bürgerbegehren in Köln zeigt, wie stark die Erfolgschancen für solche Begehren von den Verfahren abhängen“, erklärte der Geschäftsführer. Abseits von Wahlen sei die bei Bürgerentscheiden vorgeschriebene Mindestzustimmung von 20 Prozent aller Stimmberechtigten insbesondere in Großstädten de facto nicht zu erreichen. Jeder zweite Bürgerentscheid ist wegen Nichterreichens dieses Quorums ungültig. Deshalb fordert die Kölner Initiative „Mut zu Kultur“ die Zusammenlegung der Abstimmung über ihr Bürgerbegehren mit der Landtagswahl. Überhaupt ist es für Slonka unfassbar, dass erst das fünfte Kölner Bürgerbegehren überhaupt eine Aussicht auf Erfolg hat. Alle zuvor gelaufenen Initiativen etwa gegen die lokale Müllverbrennungsanlage oder den Ausbau des Godorfer Hafens waren für unzulässig erklärt worden. „Verantwortlich dafür sind überflüssige Themenausschlüsse für Bürgerbegehren, die aus der Gemeindeordnung gestrichen gehören“, fordert Slonka. Mehr Demokratie will, dass in NRW wie in einigen anderen Bundesländern auch Bürgerentscheide über wichtige stadtentwicklungs- und wirtschaftspolitische Fragen möglich sind.
Andere Bundesländer sind auch beim Thema Wahlrecht für Mehr Demokratie ein Vorbild. Während die Wähler nämlich bei Kommunalwahlen in 13 Bundesländern ihre Favoriten aus den Listen aller Parteien gezielt auswählen können, dürfen sie in NRW nur vollkommen starre Kandidatenlisten abnicken. „Dabei fördert es die Bürgernähe, wenn sich nicht nur die Parteien, sondern auch die Kandidaten untereinander dem Wettbewerb um die Wählerstimmen stellen müssen“, meint Slonka. Sein Verein schlägt deshalb vor, dass die Bürger bei Wahlen bis zu drei Stimmen an einzelne Mandatsbewerber vergeben und auch Kandidaten von den Listen streichen können. Hierdurch können die Wähler die Listenreihenfolge der Kandidaten noch einmal ändern und so etwa mehr Frauen oder junge Politiker in die Räte bringen.
Die Forderungen von Mehr Demokratie finden bei den Parteien zunehmend Gehör. Grüne, Linke und Piratenpartei haben alle Hauptforderungen des Vereins bereits übernommen. Die SPD will Volksbegehren auf Landesebene erleichtern und die Abstimmungshürde beim kommunalen Bürgerentscheid senken. Bei der FDP steht zumindest die geforderte Wahlrechtsreform im Programmentwurf, der auf dem Parteitag der Liberalen am Wochenende in Siegen abgestimmt wird. Welche Position die CDU bezieht, ist derzeit hingegen noch ungewiss.
„Das Vertrauen in das Funktionieren unserer Demokratie hat in den letzten Monaten sehr gelitten“, heißt es mit Blick auf aktuelle Skandale in einem heute veröffentlichten Aufruf von Mehr Demokratie zur Landtagswahl. Politiker aller Parteien seien deshalb aufgefordert, das verloren gegangene Vertrauen der Bürger wieder zurück zu gewinnen. Dazu brauche es in NRW eine umfassende Demokratie-Reform. Mehr Demokratie ruft dazu auf, nur die Parteien und Kandidaten zu wählen, die den Bürgern mehr politische Rechte geben wollen. Auf der Kampagnenseite wird die Initiative in den nächsten Wochen die Stellungnahmen der einzelnen Landtagsbewerber zu ihren Demokratie-Forderungen veröffentlichen. Dort kann auch der Aufruf unterschrieben werden, der nach der Wahl am 9. Mai mit möglichst vielen Unterschriften an die neue Landesregierung übergeben werden soll.
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