“Wir werden weiter laut bleiben!“

Die Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE!“ sammelt seit September 2020 Unterschriften für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen. Das Bündnis aus Beschäftigten im Gesundheitswesen, Patientinnen und Aktivisten kämpft gegen das Profitstreben und für einen Systemwechsel in Krankenhäusern. Die Volksinitiative fordert eine vollständige Refinanzierung der Investitionskosten durch das Land NRW, die Einbeziehung aller Perspektiven von Beteiligten bei der Krankenhausplanung, die Aufstockung von Personal, eine gesetzliche Personalbemessung sowie das Verbot, mit Krankenhäusern Profite zu erwirtschaften. Vor anderthalb Jahren haben wir ein erstes Interview mit Claudia Lenden, Sprecherin der Volksinitiative, geführt. Heute berichtet sie uns, was seither passiert ist.

Ein Eindruck von einer Unterschriftensammlung in Duisburg (© Claudia Lenden)

 

Mehr Demokratie: Frau Lenden, im September 2020 haben Sie Ihre Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW - für ALLE“ gestartet. 66.000 Unterschriften innerhalb eines Jahres sind notwendig, damit sich der Landtag mit Ihrem Anliegen befasst. Wie viele Menschen haben für gesunde Krankenhäuser unterschrieben und wie zufrieden sind Sie mit dem Ablauf der Unterschriftensammlung?

Wir haben von September 2020 bis April 2022 50.000 Unterschriften gesammelt. Das sind eine ganze Menge, aber um dafür zu sorgen, dass der Landtag sich mit unseren Forderungen befassen muss, hätten es 66.000 Unterschriften in 12 Monaten sein müssen. Aber: 50.000 Unterschriften zu sammeln bedeutet 50.000 Gespräche zu führen, Unterstützung und Zuspruch zu erfahren und auch neue Mitstreiter*innen zu finden. Und 50.000 Unterschriften sorgen schon dafür, wahrgenommen zu werden - von den verantwortlichen Politiker*innen, von Journalist*innen, von der Bevölkerung. Natürlich hätten wir gerne die benötigte Anzahl Unterschriften gesammelt, aber auch so haben wir das Thema gut vertreten und werden es weiter tun - das haben wir den Menschen, die unterschrieben haben, versprochen.

 

Wann haben Sie entschieden, die Unterschriftensammlung zu verlängern? Kamen Schwierigkeiten bei der Verlängerung auf?

Wir waren in einer schwierigen Zeit gestartet und hatten nicht damit gerechnet, dass die Zahl der Coronainfektionen so weit ansteigen würde, dass es einen erneuten Lockdown geben würde. Das hat natürlich unsere Planungen beeinflusst - verschiedene Aktionen, die wir im Vorfeld geplant hatten, ließen sich nicht durchführen, Veranstaltungen, auf denen wir hätten sammeln können, wurden abgesagt. Als wir merkten, dass wir die notwendige Anzahl an Unterschriften bis zum 31.08.21 auf keinen Fall sammeln konnten, haben wir uns dazu entschieden, den Sammelzeitraum zu verschieben. Zwar war es bedauerlich, dass dadurch bereits gesammelte Unterschriften nicht gezählt werden konnten, aber das Ziel war ja, die Vorgaben für die Volksinitiative zu erreichen.  Den Sammlungszeitraum für eine Volksinitiative legen die Initiator*innen selbst fest, von daher gab es keine formalen Schwierigkeiten.

 

Welche Verbesserungen wünschen Sie sich für das Instrument der Volksinitiative in NRW?

An und für sich ist die Volksinitiative als Instrument der direkten Demokratie sehr sinnvoll. Das Verfahren ist zwar aufwendig, aber klar strukturiert. Was uns aufgefallen ist und nachdenklich gemacht hat, war, dass fast jede 20. Unterschrift nicht gültig war, weil die Menschen keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Das sind Menschen, die hier in NRW wohnen und arbeiten, Steuern zahlen, teilweise selbst im Krankenhaus arbeiten, aber trotzdem kein Mitspracherecht haben. Wenn wir von Inklusion und Integration von Migrant*innen reden und diese wirklich wollen, ist das ein falsches Signal. Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen, die hier in NRW leben, auch mitentscheiden können, gerade wenn es um Themen geht, die uns alle betreffen - ob mit oder ohne deutsche Staatbürgerschaft.

 

Was würden Sie anderen Initiativen mit auf den Weg geben, die eine Volksinitiative anstoßen wollen?

Ich wünsche allen Bürger*innen, die sich mit einer Volksinitiative auf den Weg machen, einen langen Atem, viele Mitstreiter*innen und ein gutes Gelingen. Demokratie lebt vom Mitmachen, und nur wenn wir Bürger*innen uns beteiligen und unsere Meinungen und Vorstellungen laut äußern, werden sie auch gehört.

 

Was erhoffen Sie sich von der neuen Landesregierung und wie optimistisch sind Sie, was die Umsetzung Ihrer Forderungen angeht?

Ich hoffe natürlich, dass sich die Landesregierung mit dem wichtigen Thema Gesundheits- und Daseinsfürsorge mit der notwendigen Aufmerksamkeit befasst und die Missstände beseitigt. Es kann nicht sein, dass die Arbeitsbedingungen so schlecht sind, dass dadurch Menschen krank werden, und es kann auch nicht sein, dass mit dem Geld aus unseren Krankenversicherungen Gewinne generiert und an Aktionäre ausgezahlt werden. Gesundheitsfürsorge ist Daseinsfürsorge und gehört in die Verantwortlichkeit des Staates - nicht in die Hände von Aktiengesellschaften. Meine Gesundheit ist keine Ware. Es ist allerhöchste Zeit, die Finanzierung der Krankenhäuser und des ganzen Gesundheitssystems neu zu denken, denn wenn in 20 Jahren die Baby-Boomer alt sind und pflegebedürftig werden, ist es zu spät. Wenn ich aber an die erste Pressekonferenz nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen denke, in der in 17 Minuten über „die großen Herausforderungen der nächsten Jahre“ gesprochen wurde und dabei kein einziges Mal „Krankenhaus“, „Gesundheitswesen“ oder gar „Streik der Beschäftigten in den Uniklinika“ erwähnt wurde, dann bin ich mir nicht sicher, ob die notwendigen Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt werden. Und aus diesem Grund, um immer wieder auf unsere Forderungen hinzuweisen und daran zu erinnern, werden wir weiter laut bleiben. An uns kommt keiner vorbei, das haben wir versprochen und das werden wir halten.

 

 

Claudia Lenden ist seit 1984 Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet mittlerweile in Köln in der Beratung und Begleitung pflegender Angehöriger beim Übergang vom Krankenhaus in die Häuslichkeit. Seit 2013 gehört sie zum Organisationsteam von „Pflege am Boden Köln“, einer Gruppe von professionell ausgebildeten Pflegekräften, pflegenden Angehörigen und Betroffenen, die mit regelmäßigen Flashmobs auf den immer größer werdenden Pflegenotstand aufmerksam machen.

 

Mehr Infos:

  1. Unser Interview von 2020: Wie eine Volksinitiative für ein Umdenken im Gesundheitssektor sorgen will
  2. Website der Initiative: Gesunde Krankenhäuser in NRW - für ALLE

Pressemitteilung

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