Bürgerbegehrensbericht: Lebendige Demokratie

Die Praxis der direkten Demokratie wird immer lebendiger. Am 5. September 2012 hat Mehr Demokratie zum zweiten Mal einen bundesweiten Bürgerbegehrensbericht veröffentlicht. Seit dem ersten Bericht aus dem Jahr 2007 wuchs die Zahl der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide um jeweils 35 Prozent.

 

Insgesamt gab es von 1956 bis Ende 2011 bundesweit 5.929 Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Auf NRW entfallen davon 628 Verfahren. 615 mal griffen die Bürger zum Bürgerbegehren, 170 mal kam es zum Bürgerentscheid. Erfolgreich waren 27,1 Prozent aller Bürgerbegehren entweder dadurch, dass sie vom Rat übernommen wurden oder im Bürgerentscheid eine Mehrheit erhielten.

 

37,6 Prozent aller Begehren waren unzulässig. Im in Sachen direkter Demokratie fortschrittlichen Bayern lag dieser Anteil nur bei 15,5 Prozent. Besonders häufig hatte in der Vergangenheit die Frage der Kosten für die Umsetzung eines Bürgerbegehrens zur Unzulässigkeit geführt. Der Landtag hatte diese Anforderung an Bürgerbegehren 2011 entschärft.

 

Fast jeder zweite Bürgerentscheid war ungültig, weil die für Bürgerbegehren vorgeschriebene Mindestzustimmung von 20 Prozent (bis 2000 25 Prozent) aller Stimmberechtigten nicht erreicht wurde. Bundesweit liegt der Anteil dieser „unecht gescheiterten“ Bürgerbegehren bei nur 13,3 Prozent. Grund für den hohen Anteil ungültiger Bürgerentscheide in NRW ist die im Ländervergleich hohe Einwohnerzahl vieler Kommunen. Je größer eine Stadt ist, desto niedriger ist erfahrungsgemäß die Abstimmungsbeteiligung. Grund: ein geringerer Anteil der Bürger ist von einem Thema direkt betroffen und somit zur Abstimmungsteilnahme motiviert. Der Landtag hatte deshalb im Dezember 2011 das Abstimmungsquorum nach Gemeindegröße gestaffelt. Es liegt jetzt je nach Einwohnerzahl zwischen 10 und 20 Prozent aller Stimmberechtigten.

 

Viele Bürgerbegehren in NRW

Weil in größeren Städten im Schnitt auch mehr Bürgerbegehren stattfinden, liegt Nordrhein-Westfalen bei der Zahl direkt-demokratischer Verfahren im Ländervergleich hinter Bayern und Baden-Württemberg an dritter Stelle. Die Top 10 der Kommunen mit den meisten Bürgerbegehren sind aber alle entweder Stadtteile von Hamburg oder bayerische Gemeinden. Vorne liegen Hamburg-Wandsbek mit 28 Bürgerbegehren und Augsburg mit 22 Begehren. In NRW kann man in einer Gemeinde im Schnitt alle 12 Jahre ein direkt-demokratisches Verfahren beobachten.

 

Hauptthema in NRW war mit einem Anteil von 30 Prozent der Bereich der öffentlichen Sozial- und Bildungseinrichtungen, also etwa die Frage, ob Schulen oder Bäder erhalten oder geschlossen werden. An zweiter Stelle liegen öffentliche Infrastrukturprojekte wie der Bau neuer Rathäuser. Platz 3 belegt der Themenbereich Verkehr.

 

Energiewende in NRW kein Thema

Einen Schwerpunkt des Bürgerbegehrensberichts bildet die Energiewende im Spiegel der direkten Demokratie. Hier zeigt sich, dass es je nach Bundesland eine sehr unterschiedliche Nutzung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid gibt. Bundesweit gab es bis Ende 2011 auf kommunaler Ebene 175 direkt-demokratische Verfahren zu Energiefragen. Drei Viertel der Verfahren verteilen sich auf die Länder Bayern, NRW und Schleswig-Holstein. Während es in Nordrhein-Westfalen dabei aber hauptsächlich um den Verkauf von Stadtwerken ging, konnten die Bürger in anderen Ländern häufiger über den Bau von Windrädern oder Biomasse-Kraftwerken abstimmen. Grund hierfür sind die in der Gemeindeordnung festgeschriebenen Themenausschlüsse und knappe Fristen für Bürgerbegehren. Während es in anderen Bundesländern eine Reihe von Bürgerentscheiden über Windräder, Solarparks und Biomasse-Anlagen gab, herrscht bei diesen Themen in NRW Fehlanzeige.

 

Dass es Bürgerentscheide hierüber nicht auch in NRW gab, liegt daran, dass die Gemeindeordnung Abstimmungen über Anlagen verbietet, die imissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen. Hinzu kommt, dass bis Ende 2011 auch Bürgerbegehren zu Bebauungs- und Flächennutzungsplänen nicht erlaubt waren, die bei der Errichtung von Energieanlagen ebenfalls eine Rolle spielen.

 

Bürgerbegehren keine Bremsklötze

Bürgerbegehren sind keineswegs Bremsklötze für neue Energiekonzepte. Lediglich beim Thema Windkraft überwiegt in der Bevölkerung die Ablehnung. In Bezug auf Biomasse- und Solaranlagen ist die Mehrzahl der Verfahren zu Gunsten der neuen Technologien ausgegangen.

 

Jahrzehntelang war Baden-Württemberg das einzige Bundesland, das Bürgerbegehren und Bürgerentscheide kannte. Seit 1990 haben alle deutschen Bundesländer die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene eingeführt. Die nach einem Volksbegehren von Mehr Demokratie 1995 in Bayern per Volksentscheid festgelegten Spielregeln für Bürgerbegehren gelten bundesweit als die bürgerfreundlichsten.

Den vollständigen Bürgerbegehrensbericht finden Sie hier (pdf, 52 Seiten)

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