Essen/Köln - Der Essener Rat hat sich in seiner gestrigen Sitzung gegen die Möglichkeit der Zusammenlegung von Bürgerentscheiden und Wahlen in der Stadt ausgesprochen. Gegen die Stimmen der Linken verabschiedeten die Stadtverordneten eine von der Verwaltung erarbeitete Bürgerentscheid-Satzung, die ein Verbot der Zusammenlegung von Abstimmungen mit Wahlen enthält. Außerdem soll bei Bürgerentscheiden im Vergleich zu Wahlen nur die halbe Zahl von Abstimmungslokalen geöffnet werden.
"Es scheint im Essener Rat ein paar grundsätzliche Missverständnisse die direkte Demokratie betreffend zu geben", glaubt Daniel Schily, Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie. Die Ratsmehrheit fürchte wohl, dass die in der Stadt traditionell starken linken Gruppierungen und Parteien Bürgerentscheide verstärkt für ihre Zwecke instrumentalisieren könnten, wenn diese mit Wahlen zusammen gelegt würden.
Damit ein Bürgerbegehren erfolgreich ist, benötigt es in NRW neben der Mehrheit der Abstimmenden die Zustimmung von mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigten. An diesem Quorum scheitert jedes zweite zur Abstimmung kommende Bürgerbegehren. In Essen war 2001 so etwa ein Bürgerbegehren für den Erhalt städtischer Schwimmbäder trotz einer Mehrheit von 89,3 Prozent durch die Abstimmungshürde zu Fall gebracht worden. Findet ein Bürgerentscheid zusammen mit einer Wahl statt, ist das Überspringen dieser Hürde in der Regel kein Problem mehr. "Zuerst muss aber überhaupt eine Mehrheit der Abstimmenden überzeugt und gewonnen werden", stellte Schily klar. Dies werde bei zusammen mit Wahlen stattfindenden Abstimmungen tendenziell sogar schwieriger.
Dies bestätigt auch der Politikwissenschaftler Volker Mittendorf von der Forschungsstelle für Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie an der Universität Marburg. "Das Quorum führt im Normalfall zu einer Verzerrung des Abstimmungsergebnisses zu Gunsten der Befürworter eines Begehrens", so Mittendorf. "Die Gegner eines Bürgerbegehrens sind darin meist unterrepräsentiert. Sie erwarten zumindest teilweise, dass die Abstimmungshürde nicht übersprungen wird und bleiben deshalb Zuhause." Würden Bürgerentscheide mit Wahlen zusammen gelegt, hebe dies die negative Wirkung des Zustimmungsquorums hingegen auf.
"Wer ein ehrliches Abstimmungsergebnis will, muss also sogar unbedingt dafür sein, die Abstimmung darüber mit einer Wahl zusammen zu legen", schlussfolgerte Mehr Demokratie-Geschäftsführer Schily. Noch besser sei es aber, das Zustimmungsquorum abzuschaffen. Gerade weil es etwa in der Schweiz bei Volksentscheiden kein solches Quorum gebe, würden dort zwar viele Volksbegehren gestartet, viele davon in der Abstimmung dann aber auch von den Bürgern abgelehnt.
Hintergrund: <link faireregeln>Faire Bürgerentscheide