Wie eine Volksinitiative für ein Umdenken im Gesundheitssektor sorgen will

Die Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE“ startete am 03. September 2020 ihre Unterschriftensammlung. Insgesamt 66.000 Unterschriften werden benötigt, damit sich der nordrhein-westfälische Landtag mit dem Thema der Initiative – Verbesserungen im Krankenhaussektor – beschäftigt. Wir haben mit Claudia Lenden gesprochen, sie ist die stellvertretene Sprecherin der Volksinitiative.

© Claudia Lenden, Volksinitiative Gesunde Krankenhäuser

Mehr Demokratie: Vor ziemlich genau drei Monaten hat die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW- Für ALLE“ begonnen. Worum genau geht es bei der Volksinitiative?

Bei der Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE“ geht es im weitesten Sinne um ein Neudenken im Gesundheitswesen. Im Augenblick wird Gesundheit oft als Ware betrachtet, mit der man Geld verdienen kann. Doch Gesundheit ist keine Ware und Krankenhäuser sind keine Fabriken. Wir wollen diesem Profitstreben etwas entgegensetzen. Es kann nicht darum gehen, den meisten Profit aus Krankheit und Pflegebedürftigkeit von Menschen zu ziehen. Deswegen fordern wir ein gemeinwohl-orientiertes Gesundheitswesen, das zum Ziel hat, Menschen Gesundheit zu ermöglichen. Insgesamt stellen wir vier Forderungen, die an die Landesregierung gerichtet sind. Berücksichtigt haben wir dabei, dass manche Dinge Aufgaben des Landes sind, manche Aufgaben des Bundes.

Aufgabe des Landes ist die Investitionskostenfinanzierung der Krankenhäuser, das heißt, wenn Krankenhäuser ihre Gebäude instand halten oder wenn sie Ausstattung benötigen, muss das Land dies finanzieren. Diese Investitionskosten sind in den letzten Jahren aufgelaufen, was zu finanziellen Schwierigkeiten der Krankenhäuser geführt hat, denn nun mussten diese in anderen Bereichen sparen.

Die zweite Forderung ist die Krankenhausplanung in NRW. Die findet im Augenblick mit wenigen Beteiligten statt. Wir sagen: bei diesem wichtigen Thema müssen alle, die es betrifft, zu Wort kommen und auch ein Mitspracherecht haben, um alle Aspekte bedenken zu können. Der Aussage „Der Markt wird es richten“ entgegnen wir: „Der Markt ist nicht darauf ausgerichtet, hilflosen und kranken Menschen zu mehr Gesundheit zu verhelfen, sondern darauf, Geld zu erwirtschaften.“ Wir fordern daher Gremien, in denen alle wichtigen Akteure mit eingebunden werden.

Die dritte Forderung betrifft eine gesetzliche Personalbemessung, die mehr ist als „Untergrenzen in pflegesensiblen Bereichen“. Bei der Bemessung orientierte man sich am absoluten Mindestmaß an Pflegekräften, das gebraucht wird – und oft wird selbst dies unterschritten. Abgesehen davon gelten die Untergrenzen nur in einzelnen Bereichen – ich weiß aber nicht, welcher Bereich im Krankenhaus, in dem kranke und hilfebedürftige Menschen behandelt werden, „pflegeunsensibel“ sein soll. Zudem besteht die Gefahr, dass es zu Personalverschiebungen kommt und die nicht benannten Bereiche noch schlechter aufgestellt sind.

Die vierte und letzte Forderung betrifft die DRGs (DRG= diagnosebezogene Fallgruppen. DRGs werden seit 2003 zur Steuerung der Finanzierung des Gesundheitswesens verwendet. Die festgestellten DRG, mit Haupt- und Nebenklassen, werden vom Leistungsträger zum Kostenträger als Abrechnungsgrundlage gemeldet.). Seit 1985 ist es den Krankenhäusern erlaubt, Gewinne zu machen. Dies führte zu einem hohen Druck und schlussendlich, wenn nicht ausreichend Gewinne erwirtschaftet werden konnten, zu Schließung oder Verkauf der Häuser. Die Einführung der DRGs verschärfte die Situation noch: manche Erkrankungen „rechnen sich“, bei anderen deckt der Erlös die anfallenden Kosten nicht.

Da die dritte und vierte Forderung Aufgaben des Bundes betreffen, fordern wir die Landesregierung auf, sich über eine Bundesratsinitiative für deren Umsetzung einzusetzen.
 

Mehr Demokratie: Eine Volksinitiative ist mit einem enormen Aufwand verbunden. Immerhin müssen mindestens 66.000 Unterschriften gesammelt werden. Das ist bereits eine hohe Hürde für Initiativen, wenn gerade keine Pandemie herrscht. Wie organisiert sich das Bündnis?

Wir nutzen verschiedene digitale Medien, z. B. findet alle 14 Tage eine Video-Konferenz der Aktiven statt, zusätzlich treffen sich die verschiedenen Arbeitsgruppen, und auch die verschiedenen Unterstützer werden per digitalen Treffen informiert. Zusätzlich kommunizieren wir über einen Instant Messenger- wir nutzen letztlich alle digitalen Möglichkeiten und sind sehr froh, dass dies in der Form möglich ist. Natürlich versuchen wir die Aufgaben so zu verteilen, dass keiner überlastet wird, da die meisten von uns berufstätig sind.
 

Mehr Demokratie: Welche Rolle spielt die Coronapandemie für Ihre Volksinitiative?

Wir sind durch die Coronazeit tatsächlich eingeschränkt- als die Initiative „geboren“ wurde, hatten wir uns das anders vorgestellt. Wir nutzen daher die Social Media und sind auf Instagram und Facebook unterwegs, zudem gibt es auch unsere wirklich sehr informative Website.

Eine Hürde ist tatsächlich, dass die Listen per Hand unterschrieben werden müssen und keine Möglichkeit besteht, dies auch digital zu tun, wie man es bei Petitionen kennt. Denn diese Listen werden beim Einwohnermeldeamt auf die Richtigkeit der Angaben geprüft, bevor wir sie zählen können. Hier sind wir tatsächlich darauf angewiesen, dass uns möglichst viele Unterstützen, Unterschriften sammeln oder, unter Wahrung des Datenschutzes, Listen auslegen. Wir haben Sammelstellen eingerichtet, bei denen die ausgefüllten Listen abgegeben werden können – die Adressen findet man auf unserer Website, ebenso einen Downloadbereich, um die Unterschriftenlisten, die nicht verändert werden dürfen, auszudrucken. Ich erzähle tatsächlich jedem, mit dem ich mich unterhalte, von der Volksinitiative und bitte um Mithilfe – jede Unterschrift zählt.
Das „Positive“ an dieser Zeit ist vielleicht, dass sich die Menschen im Augenblick mehr mit dem Thema Gesundheit auseinandersetzen. Vielleicht ist doch mehr ins Bewusstsein entstanden, dass Krankenhausbetten alleine nicht ausreichen, um Patienten zu versorgen, sondern dass es dafür auch Personal braucht. Am Anfang ist die Wertschätzung ja auch z.B. mit Applaus bekundet worden. Inzwischen ist die Bevölkerung etwas müde, ich glaube, an keinem geht das Thema spurlos vorbei.
 

Mehr Demokratie: In Berlin, Bayern, Bremen und Hamburg gab es bereits Volksbegehren zur Verbesserung der Krankenhaus- und Pflegesituation. Alle vier wurden aber von Verfassungsgerichten für unzulässig erklärt. Was macht Sie so sicher, dass Ihrer Initiative nicht das gleiche Schicksal droht?

Zum einen handelt es sich hier um eine Volksinitiative – dadurch haben wir bei einer Ablehnung noch die Möglichkeit, in einem zweiten Schritt ein Volksbegehren zu beantragen. Zum anderen haben wir aber Forderungen formuliert, die tatsächlich auf Landesebene umzusetzen sind. Das Land ist sowohl für die Investitionskosten als auch die Krankenhausplanung verantwortlich und es hat die Möglichkeit, sich über eine Bundesratsinitiative für eine gesetzliche Personalbemessung und die Abschaffung der DRGs einzusetzen. Wir sind uns bewusst, dass wir sehr genau darauf achten müssen, dass sich keine Verfahrensfehler einschleichen und die Unterschriftensammlung korrekt durchgeführt wird. Aber wir sind davon überzeugt, dass unsere Volksinitiative Erfolg haben wird.

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Mit einer Volksinitiative wird der Landtag damit beauftragt, sich mit einem bestimmten Thema oder einem Gesetzesentwurf zu befassen. Der Landtag bleibt dabei in seiner Entscheidung frei. Er muss das Thema nicht in einem bestimmten Sinne inhaltlich behandeln und braucht ein beantragtes Gesetz nicht zu erlassen. Für eine erfolgreiche Volksinitiative müssen innerhalb von einem Jahr Unterschriften von 0,5 Prozent der Wahlberechtigten gesammelt werden. Das sind aktuell etwa 66.000 Unterschriften in NRW.

Mit einem Volksbegehren kann der Landtag dazu angehalten werden, ein Gesetz zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben. Für Volksbegehren gibt es einen umfangreichen Ausschlusskatalog, Volksbegehren zu Finanzfragen, Abgabengesetzen und Besoldungsordnungen sind nicht zulässig. Wird ein Volksbegehren abgelehnt, kommt es zum Volksentscheid. Ein Volksbegehren muss zunächst mit 3.000 Unterschriften beantragt werden. Wird es zugelassen, müssen innerhalb eines Jahres mindestens 8 Prozent der Stimmberechtigten unterschreiben, das entspricht etwa 1,1 Millionen Unterschriften.

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Man kann helfen, die Initiative bekannt zu machen, indem man z. B. unser Banner auf die eigene Website stellt und indem man das eigene Umfeld informiert. Wir haben dazu verschiedene Materialien wie Flyer oder Postkarten. Zudem kann man selbst Unterschriften sammeln und/oder eine Sammelstelle einrichten. Alles darüber ist auf unsere Website nachzulesen. Gerade das Unterschriftensammeln ist uns eine große Hilfe, und auf jede Unterschrift kommt es an.
 

Mehr Demokratie: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Lenden!
 

Claudia Lenden ist seit 1984 Pflegefachkraft und arbeitet inzwischen als Demenzbeauftragte und Pflegetrainerin für Pflegende Angehörige in einem Krankenhaus in Köln. Sie ist die stellvertretende Sprecherin der Volksinitiative.

 

Pressemitteilung

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